Honorarkonsul Syoum Ghebrehaimanot an seinem Arbeitsplatz in Wien-Inzersdorf.

Foto: STANDARD/Christian Fischer
Wien - Von der Wortschöpfung "Eritrea-Koalition" hält Syoum Ghebrehaimanot gar nichts. Das stellt der gebürtige Eritreer gleich zu Beginn fest.

Langwieriger Freiheitskampf

Die vom ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka im Zuge der ORF-Wahl aufgebrachte Formulierung stelle sein Heimatland in ein schlechtes Licht, was ihn sichtlich kränkt. Denn die Farben der Flagge von Eritrea (grün, rot, blau, mit einem gelben Olivenkranz) haben nichts mit den hiesigen politischen Scharmützeln zu tun, sondern stehen vielmehr für den langwierigen Freiheitskampf des krisengeschüttelten nordostafrikanischen Kleinstaates.

Schmäh und hohe Diplomatie

Und mit dem ist der Postangestellte und Honorarkonsul von Eritrea in Personalunion tief verbunden. Denn der 46-jährige Akademiker schupft nicht nur Postsendungen im Briefzentrum Liesing, sondern nutzt jede Minute seiner Freizeit für den Wiederaufbau und die Demokratisierung Eritreas. "Ich lebe in zwei Welten," sagt er: auf dem diplomatischen Parkett und in den riesigen, in Neonlicht getauchten Posthallen im Inzersdorfer Industriegebiet im Süden Wiens. Und er hat gelernt, mit der Etikette der hohen Diplomatie umzugehen, genauso wie mit dem Schmäh seiner Post-Kollegen.

Während der Abendschicht erzählt er seine Geschichte: 1960 geboren, arbeitet der Sohn eines Landpolizisten bereits als 13-Jähriger in der Landwirtschaft. Schule gibt es keine in der Nähe und es herrscht ein blutiger Unabhängigkeitskrieg: "Ich musste mein Leben retten." 1978 wird Ghebrehaimanot für eine dreimonatige Ausbildung in die DDR geschickt. Das ist die Gelegenheit: Er flüchtet und gelangt nach Österreich, wo er politisches Asyl bekommt.

"Politische Neigung"

"Ich hatte die Chance, ein zweites Leben in Wien zu bekommen," ist der Mann heute noch dankbar. Eine Chance, die er nützt: In Rekordzeit absolviert er den Vorstudienlehrgang und beginnt ein Medizinstudium. Das Leichensezieren nimmt ihn aber derart mit, dass er einen Nervenzusammenbruch erleidet, der ihn für fast zwei Jahre außer Gefecht setzt. Doch die Vorgänge in seiner Heimat lassen ihn nicht los, die "politische Neigung" in ihm wird immer stärker, bis er 1985 der Widerstandsgruppe Eritrean Peoples Liberation Front (EPLF) beitritt. Nach einem abgebrochenen Studium an der Uni für Bodenkultur und nach dem Bundesheer fängt er 1993, im Jahr der Unabhängigkeit Eritreas, ein weiteres Studium an, eine Kombination aus Politikwissenschaft, Pädagogik und Soziologie, das er in nur drei Jahren abschließt.

Tätigkeit, die keinen Cent einbringt

Schrittweise baut er ein Netzwerk der Exil-Eritreer auf und ist Mitbegründer der Österreichisch-Eritreischen Gesellschaft. Im Oktober 2004 folgt die Krönung seines Engagements: Bundespräsident Heinz Fischer ernennt ihn offiziell zum Honorarkonsul für Eritrea, als Delegierter der Botschaft in Berlin. Eine Tätigkeit, die zwar hochtrabend klingt, aber keinen Cent einbringt, es ist eben ein "Ehrenamt". Wie sich all das mit einer 40-Stunden-Woche bei der Post vereinbaren lässt? "Es gibt fünf Schichten, da ist immer wieder vormittags oder nachmittags Zeit." Zeit für Reisen als Delegierter der Botschaft in Berlin, für Vorträge und Versammlungen.

"Mein Hobby ist Politik

Andere Interessen hat er nicht: "Mein Hobby ist Politik. Ich gehe nicht schwimmen oder wandern nach der Arbeit." Dazu wäre er nach der körperlichen Anstrengung gar nicht in der Lage. Der Lohn dafür sind 1400 Euro netto. Aber dass man "als afrikanischer Akademiker keinen angemessenen Job" bekommt, mache ihn "nicht traurig". "Ich habe andere Ziele," sagt er. "Ich lebe wie im Paradies. Wenn ich meine Situation mit denen der Ausländer in den Gettos in Frankreich vergleiche ... In Wien habe ich immer friedlich gelebt, ich fühle mich als Österreicher." Auch die Ressentiments gegenüber Ausländern, nicht zuletzt während des Wahlkampfs, betreffend bleibt er gelassen: "Ich habe keine Komplexe, ich möchte überzeugen."

Nötige Wertschätzung aus dem Ausland

Sein vorrangigstes Ziel ist, der nächsten Generation in Eritrea "ein Leben in Ehre und Würde" zu ermöglichen, durch enge Zusammenarbeit mit Jugend- und Frauenorganisationen und mithilfe von AIDS-Prävention. Dazu sei aber auch Wertschätzung aus dem Ausland nötig, in Form von wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen und einer Förderung des Tourismus, die er als Honorarkonsul vorantreiben will. "Es gibt 1000 Kilometer Strand und 350 unberührte Inseln im Roten Meer," wirbt Ghebrehaimanot.

Selbst in seine Heimat zurückzukehren, daran denkt der österreichische Staatsbürger nicht - auch wenn sein 26-jähriger Sohn samt Enkel dort lebt: "Hier habe ich alles erreicht. Hier kann ich in Pension gehen." (Karin Krichmayr, DER STANDARD Printausgabe 9.10.2006)