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Zwischen Kläranlagen und kulturwirtschaftlicher Darstellungskraft: "Bharati" in der Wiener Stadthalle.

Foto: Ralph Orlowski/Getty Images
Wien – Ein "Sutradhar" bringt es als Erzähler auf den Punkt: Wenn ein Mann kocht, wäscht, putzt und die Frau daheim anschafft, gibt es nur Ärger. Die wahre Liebe, lehrt die indische Tanzshow "Bharati", die zur Zeit in der Wiener Stadthalle gastiert, kommt nur, wenn die Frau sich den Traditionen einer väterlichen Gesellschaft fügt.

"Bharati" ist ein garantiert gandhifreies Spektakel, das seine Zuschauer richtig mitreißt. Ein Musical im Geist von Bollywood mit seinem, wie der Sutradhar (nicht ganz indisch: Michel Sorbach) stolz verkündet, jährlichen Ausstoß von 900 Filmen. In dieser Traumfabrik und in der Folge auch in dem "Bollycal" "Bharati" wird Indien frischfröhlich und beinhart kalkuliert neu erfunden. Als kunterbuntes "Exotien", das Spaß macht, tanzt und zündet, und in dem alle Mädchen bauchfreie Beauties sind.

Europas Zeitgeist

Bharati, das gerade buchmessenpassend auch in Frankfurt am Main zu sehen war, trifft auf einen Zeitgeist in Europa, der vor allem nach guten Nachrichten (wenn nötig: aus Übersee) lechzt. Alle möglichen kritischen "Praxen", wie es allzu schön zahnärztlich heißt, erscheinen da nur noch als abgekaute Prothesen. Aus "Bharati" kommen wir erleichtert: "Mami, Mami, er hat gar nicht gebohrt!"

Die weibliche Hauptfigur symbolisiert, darunter tut sie’s nicht, ganz Indien. "In ihrer Person", heißt es in dem hübschen Programmheft, "kommen sämtliche Werte Indiens zum Ausdruck." Ein am Ganges abgelegtes und von einem Adoptivvater zur guten Partie hochgezogenes Girl, das sich in einen rückgekehrten armen Inder – er muss, hallo lieber Hermann Hesse, Siddharta heißen – verliebt, der eigentlich nur eine Kläranlage bauen wollte. Am Schluss wird ordentlich geheiratet, denn der verlorene Sohn kehrt aus ganzem Herzen heim.

Mag der Plot auch schlicht wirken, die unter indischer Leitung produzierte Show zeugt von Selbstbewusstsein und beachtlicher kulturwirtschaftlicher Kraft: Warum nicht Klischees ordentlich ausspielen, wenn man sie schon hat? Wo sie sich im eigenen Land und im Westen gleichermaßen gut verkaufen. Gut 70 hochprofessionelle Tänzer, Musiker, Sänger und Akrobaten unter der Choreografie von Jojo Khan und Reshma Shaikh bringen die Bretter der Stadthallen-Halle F vor etwa 2000 Zuschauern zum Erzittern. Die Animationen des Backdrop-Videos sind opulent, wenn auch die Bühne etwas knickrig gestaltet aussieht und in der Halle noch ein klanglicher Surround-Effekt fehlt.

Exotische Alternative

Aus einer ganz anderen Ecke interkulturellen Verständnisses und aus dem afrikanischen Benin kommt das faszinierende Tanzritual "Gèlèdè", das am Samstag kommender Woche vom Tanzquartier Wien in der Halle E des Museumquartiers (danach in Goldegg und in Hall/Tirol) gezeigt wird.

Während das lupenrein künstliche Unternehmen "Bharati" virtuos auf der Sitar der kulturwirtschaftlichen Globalisierung spielt, tanzt sich "Gèlèdè" unter dem Schirm der Unesco als schützenswertes, immaterielles Kulturerbe ins kollektive Gedächtnis. Zu erwarten ist ein wunderschönes, farbenfrohes und trotz seiner "Übersetzung" in eine westliche Black Box auf Authentizität zielendes Maskenspiel aus der afrikanischen Yoruba-Kultur. (Helmut Ploebst/ DER STANDARD, Printausgabe, 07./08.10.2006)