Unser Mann aus Kanada
Der kanadische Poet Leonard Cohen (72) erfährt gerade im Film und auf der Bühne eine späte Huldigung als großer, zentraler Songwriter des 20. Jahrhunderts.

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Nick Cave, Jarvis Cocker und Lou Reed ehren in Dublin den großen Leonard Cohen: "In the Tower Of Song".

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Beim Theaterfestival in Dublin war jetzt eine dreistündige Livefassung dieser fantastischen Show zu sehen.


Dublin - Bis 1999 lebte der heute 72-jährige Poet und Gesangsgrummler Leonard Cohen einige Jahre lang völlig zurückgezogen als Mönch in einem Zen-Kloster auf Mount Baldy in Kalifornien. Der große alte Mann des sanften, pathetischen Songwriting aus dem kanadischen Montreal zählt seit den 60er-Jahren mit Songs wie "Suzanne", "Bird On The Wire" oder "So Long Marianne" und Alben wie "Songs of Love & Hate" oder "Death Of A Ladies’ Man" bis heute zu den wesentlichsten Einflüssen aller mit Akustikgitarre bewaffneten jungen Menschen. Wenn es darum geht, dem guten alten Problem der Liebe mit existenzialistischen, schwarzhumorigen und von einem tiefen Humanismus geprägten Betrachtungen in Zupf- und SchrammelMoll beizukommen.

Zwei in alten Interviews gefundene Zitate des öffentlichkeitsscheuen Schweigers unterstreichen die Bedeutung und vor allem die Arbeitsmethode des Zeit seiner Karriere beängstigend pathetisch und ungefiltert an der Grenze zwischen Erhabenheit und Kitsch arbeitenden und deshalb oft belächelten "Liedermachers":

1."Hören Sie mir auf mit dem Begriff ,cool‘! Ich habe dieses Wort das erste Mal schon Ende der 50er-Jahre in New York gehört. Seitdem hat ,cool‘ schlimme Dinge angerichtet und viel zu viele Seelen zerstört!"

2. "Hätte ich gewusst, dass Depressionen im Alter sehr oft von alleine verschwinden, hätte ich mir viele Jahre im Kloster ersparen können."

Später Triumph

Der Weg zurück in die Welt führte in jüngster Zeit allerdings auch zu einer harten Erkenntnis. Leonard Cohen als vielleicht neben Bob Dylan wesentlichste noch lebende Stimme der 68er-Generation musste während des letzten Jahres feststellen, dass er während seiner Jahre als vor der Welt flüchtender und inneren Frieden suchender Mönch von seinem Management um ein Gutteil seiner Ersparnisse gebracht wurde und heute auch wegen mediokrer, neuerer Alben wie "Ten New Songs" oder zuletzt "Dear Heather" aus 2004 mehr oder weniger als Mann mit äußerst bescheidener Altersvorsorge dasteht.

Sein Ruf als einzigartiger und selbst in bisweilen unerhörten Fremdinterpretationen jederzeit wiedererkennbarer Musiker bleibt davon allerdings unangetastet.

Immerhin stellte der gerade auch mit "Rogue’s Gallery", der Piratenlieder- und Shanty-Sammlung als Begleit-CD von Johnny Depps zweitem Teil des Hollywood-Blockbusters "Fluch der Karibik", hervorgetretene US-Starproduzent Hal Willner schon 2002 anlässlich der Feiern des kanadischen Nationalfeiertags in New York eine hochkarätige Leonard-Cohen-Tribut-Veranstaltung auf die Beine. Die sollte Cohen über Tantiemen auch finanziell aufhelfen.

Bei Wiederaufführungen der Show "Leonard Cohen – I’m Your Man" in Sydney und London entstand im Vorjahr unter der Regie der australischen Regisseurin Lian Lunson eine großartige wie herzergreifende filmische Dokumentation, die jetzt im Rahmen der Viennale 2006 nicht nur in Wiener Kinos gezeigt werden wird. Am Mittwoch und Donnerstag präsentierte Hal Willner auch eine aktualisierte Fassung derselben beim jährlichen Theaterfestival im irischen Dublin. Unter dem Titel "Came So Far For Beauty" wurden hier Verehrer und Weggefährtinnen von Cohen eingeflogen, die im normalen Konzertrahmen kaum finanzierbar wären.

Kalte Sterne

Nick Cave eröffnete den dreistündigen Abend gleich mit einem Höhepunkt. Mit einer perfekt eingeprobten Begleitband, der unter anderem Chris Spedding an der Gitarre oder die auch schon bei Cohen selbst aktiven Sängerinnen Julie Christensen, Perla Batalla oder Cohens derzeitige Lebensgefährtin Anjani angehörten, warf sich Cave in eine intensive Fassung von Cohens Klassiker "Avalanche". Danach war eingedenk eines alten Hollywood-Mottos, mit einem Knall zu beginnen und das Ganze danach zu steigern, nur noch Gänsehaut angesagt. Auch wegen der doch sehr unterschiedlichen Protagonisten dieser an beste Vaudeville-Zeiten erinnernden Show. Lou Reed gab mit bunkerbrechender E-Gitarre "The Stranger Song" oder "One Of Us Cannot Be Wrong": "In your blizzard of ice, oh please, let me come into the storm." Das sträflich unterschätzte Americana-Duo The Handsome Family führte "A Thousand Kisses Deep" und "Famous Blue Raincoat" hörbar ergriffen in das intellektuelle Bierzelt nahe Mexiko. Laurie Anderson zeigte mit ihren als kalte Sterne funkelnden Sichtungen von Dear Heather oder In My Secret Life und später im Duett mit dem New Yorker Falsettkaiser Antony in "You Know Who I Am", dass sich unter all dem mit wimmerndem Streicher- und kräftigem Bläsersatz und schmerzensreichem Jubelchor wie singender Säge dick aufgetragenen Pathos von Cohen-Songs auch immer nihilistische Abgründe auftun.

Nachdem Nick Cave später den "Dress Rehearsal Rag" überleitete zu Beth Ortons grandioser Abschiedsballade "So Long Marianne" und Jarvis Cocker gemeinsam mit Orton "Death Of A Ladies’ Man" in die Pause leitete, führte Cave anschließend vor, was alles noch an Sensibilität in dem Mann aus Australien stecken könnte, wenn er selbst die letzten Jahre nicht so ausweglos in Routine gefangen wäre: die scheinbar kaputtgespielte Suzanne, gemeinsam mit Julie Christensen, geriet zur intensivsten Nummer des Abends. Am Schluss dann mit allen Beteiligten, darunter auch die als irrlichternder Waldgeist durch "Hallelujah" berserkende Mary Margret O’Hara, Gavin Friday von den Virgin Prunes und Teddy Thompson, zwei Leonard-Cohen-Lieder für die Ewigkeit: "Tower Of Song" und "There Is A War". Wenn ich die Wiener Festwochen wäre ... (Christian Schachinger aus Dublin/ (DER STANDARD, Printausgabe, 07./08.10.2006)