Foto: Christian Verlag
Dieses Buch erzählt von der Liebe und vom Tod eines Schweines. Stéphane Reynaud, Koch, aufgewachsen im kleinen Dorf Saint-Agrève, tief in der Ardèche, einem Departement im Zentralmassiv, kommt zurück in sein Dorf, um einmal im Jahr das zu tun, was einst die Arbeit seines Großvaters war: ein Schwein zu schlachten und das Beste daraus zu machen.

An einem eiskalten Wintermorgen wird die Sau durch Fleischhauer Aimé (frz.: der Geliebte) geschlachtet. Eine Gruppe von Freunden hat sich versammelt, um Stéphane und Aimé zu helfen, das Schwein binnen weniger Stunden in Fleisch und Wurst, Terrinen und Pasteten, Schinken und Speck zu verwandeln - ganz so, wie das vor wenigen Jahrzehnten noch überall in Frankreich (und nicht viel anders auch bei uns) der Fall war.

Das Buch atmet die Liebe des fortgezogenen Stéphane für seinen verstorbenen Großvater, für die archaisch anmutende Landschaft, für das Schwein als uraltes Haustier und Lieferant unvergleichlicher Köstlichkeiten. Gerade die Würste aus der Ardèche sind in ganz Frankreich für ihren feinen Geschmack und das Savoir-faire der Fleischer gerühmt.

Vom Rüssel bis zum Ringelschwanz

Vor allem aber ist "Schwein und Sohn" ein mit unglaublich viel Liebe gemachtes Kochbuch. Das beginnt mit der Ausstattung. So ist der schweinchenrosa karierte Einband wattiert, damit er sich fest und weich zugleich, wie ein strammer Schinken, anfühlt - denn das Buch ist wahrhaftig ein ziemliches Schwartl von 368 Seiten. Den einzelnen Kapiteln ist jeweils eine Doppelseite entzückender Zeichnungen des Spaniers José Reis de Matos vorangestellt - ebenso ironische wie sympathische und absurde Beobachtungen zum Naturell des Schweins. Neben dem herzzerreißend schönen Teil über die "tuaille", das Schlachten und Verarbeiten des Tieres durch eine verschworene Gemeinschaft von Kollegen und Freunden, sind es letztlich die vielen hundert Rezepte, die einen "Schwein & Sohn" vom Rüssel bis zum Ringelschwanz so rückhaltlos lieben lassen.

Die ganzseitigen Food-Fotos sind ein Manifest der Ehrlichkeit, da schaut alles genauso gut und unverfälscht aus, als ob der Teller vor einem stünde. Vom einfachen Sandwich über köstliche Wurst- und Schinkenspeisen der französischen Hausfrauenküche (gefüllter Kohlkopf!) bis zu raffinierten Innereienrezepten, die hoch dekorierten Kreativköchen gut anstünden, wird dem Schwein hier Ehre erwiesen, indem es zum Glück in konsumierbarer Form verarbeitet wird.

Wer etwa das Rezept für "Andouillette mit Morcheln und Vin Jaune" gelesen hat und das charakteristische Aroma dieser typisch französischen Kuttelwurst schätzt, der wird in Vorfreude schwelgen, ganz gleich, ob er der Wurst (und erst recht des oxidativ ausgebauten Gelbweins aus dem Jura) in unseren Breiten habhaft werden kann, oder nicht. Die überwiegende Zahl der Rezepte lässt sich nämlich ganz problemlos mit hierorts erhältlichem Schweinernen nachkochen, die wunderbaren Pasteten ebenso wie die fan- tasievollen Sandwiches, genialen Grillgerichte und Blutwurst-Variationen.

Schon klar: Wer mit Wurst, Innereien und ähnlich erdnahen Genüssen Probleme hat, der wird durch dieses Buch nur dann an seinem Leiden genesen, wenn er es wirklich will. Aber das ist ja mit fast allem so. (Severin Corti/Der Standard/Rondo/06/10/2006)