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EU-Industriekommissar Günter Verheugen beobachtet in der EU eine „Machtübernahme der Beamten“. Diese Aussagen haben in Brüssel zu großer Aufregung und Verwunderung geführt. Doch er bekommt auch vorsichtige Rückendeckung von Kollegen.

Fotos: APA/Reuters, Montage Beigelbeck
EU-Industriekommissar Günter Verheugen beobachtet in der EU eine „Machtübernahme der Beamten“. Diese Aussagen haben in Brüssel zu großer Aufregung und Verwunderung geführt. Doch er bekommt auch vorsichtige Rückendeckung von Kollegen.

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Brüssel/Luxemburg – „Es gibt einen ständigen Machtkampf zwischen Kommissaren und hohen Beamten“, sagte Industriekommissar Günter Verheugen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Die Spitze der Brüsseler Behörde müsse, „höllisch aufpassen“, dass die Beamten, die ohne demokratische Legitimation seien, nicht wichtige Fragen unter sich ausmachten. Es komme leider vor, dass Beamte gegenüber den Mitgliedstaaten oder dem EU-Parlament ihre persönliche Sichtweise als Haltung der Kommission darstellten. Der deutsche Kommissar verlangte radikale Reformen der EU-Zentrale. „Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat dem Beamtenapparat eine solche Machtfülle eingebracht, dass es inzwischen die wichtigste politische Aufgabe der 25 Kommissare ist, den Apparat zu kontrollieren“, sagte der deutsche Politiker. Mancher Beamte denke sich: „Der Kommissar ist nach fünf Jahren wieder weg, ist also nur ein zeitweiliger Hausbesetzer, ich aber bleibe.“ Es gebe Fälle, wo hohe Beamte Beschlüsse der Kommission einfach ignorierten und ihre eigenen Vorstellungen verwirklichten.

Diese Aussagen Verheugens haben in der Beamtenschaft Bestürzung und Protest ausgelöst. „Das zeigt zwar, dass er seine eigenen Beamten nicht im Griff hat – vielleicht, weil er zu selten im Büro ist – sollte aber keine seriösen Rückschlüsse auf andere Abteilungen der Kommission zulassen,“ sagte der Generaldirektor eines anderen Kommissars dem STANDARD.

Justizkommissar Franco Frattini dagegen gab in Luxemburg sogar vorsichtige Sympathien für die Position Verheugens zu erkennen: Die Aussagen seien dazu angetan, gewisse notwendige Reformen voran zu treiben, sagte er zum Standard. Ähnlich argumentierte auch der Sprecher von Kommissionschef José Manuel Barroso: Es seien „kreative Spannungen“, die jedem Reformprozess eigen wären, keinesfalls aber ein Streit zwischen Barroso und Verheugen. Die Kritik sei „Teil des dynamischen Prozesses“, mit dem die Kommissions-Agenda zur Verbesserung der Rechtsetzung Veränderungen in Brüssel anstrebe.

Dienst am Bürger

Andere Kenner der Brüsseler Bürokratie interpretieren die starken Worte Verheugens entspannt. Verheugens Vorstoß müsse auch vor dem Hintergrund der EU-Entbürokratisierungsinitiative gesehen werden. Die Kommission habe die Devise „Dienst am Bürger“ ausgegeben. Das werde von Barroso sehr unterstützt und auch Kanzlerin Angela Merkel wolle das Thema in der deutschen Präsidentschaft im kommenden Frühjahr prominent vorkommen lassen.

Das Problem für Verheugen und seine Kollegen sei, umtriebigen Beamten diesen Dienst am Bürger auch entsprechend zu vermitteln – „Kommissare können politische Leitlinien vorgeben, aber sie haben viel weniger Durchgriffsrecht auf die Beamtenschaft als nationale Minister“. Als Zeichen von Amtsmüdigkeit wird die Schelte des Industriekommissars nicht aufgefasst. Im Gegenteil: „Der will was ändern. Das ist eine kämpferische Ansage.“ (mimo, pra/DER STANDARD, Printausgabe, 6.10.2006)