Jemand, der jeden Tag erforscht, was mit freiem Auge nicht zu erkennen ist, braucht "Genauigkeit, Geduld, Ausdauer und neben der Liebe zum Detail auch die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und eine Synthese aus den Einzelbefunden zu bilden. Es ist das Ziel, ein sinnvoll vereinfachtes Bild unserer Welt zu entwerfen", sagt Waltraud Klepal. Sie leitet die Ultrastrukturforschung am Biozentrum der Uni Wien. Elektronenmikroskopie liefert nützliche Erkenntnisse für Fragen aus Medizin, Biologie, Pharmazie, Anthropologie, Paläontologie, Werkstofftechnik, Materialwissenschaften, Chemie, Archäologie, Kriminalistik und Industrie.

Zunächst widmete sich Klepal den Lehramtsstudien für Biologie, Physik und Chemie, doch die Wissenschaft faszinierte sie zusehends. "Ich war neugierig genug zu forschen", sagt die 1943 Geborene und machte das Doktorat: "Ich hatte immer das Verlangen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Der Kitzel beim Lösen eines Problems macht wissenschaftliches Arbeiten so reizvoll." Zoologie und Paläontologie studierte Klepal, weil "ich die Natur liebe und mehr über sie, ihre Entwicklung und Geschichte wissen wollte". Als Universitätslehrerin verbindet sie heute Forschung und Lehre und genießt es, ihr Wissen, ihre Forschungsergebnisse und ihre Erfahrung weiterzugeben.

Ihr Weg in die Wissenschaft führte über die Erdgeschichte: Für die Doktorarbeit über Cirripedier - auf Felsen festgewachsene marine Krebse - stellte die Wienerin auch Schliffe von deren kalkigen Schalen her und verglich sie mit fossilen Funden. An der Scottish Marine Biological Association (SMBA) in Oban, Schottland, wo sie als Assistentin zwei Jahre über Cirripedier arbeitete, lebten "ihre Tiere" direkt vor der Haustüre. Wohltuend war die Anerkennung, "die ich in Schottland als Frau in der Wissenschaft erfuhr. Dort wurde mein Platz nicht ausschließlich in Haushalt und Familie gesehen." Im Vereinigten Königreich wurde auch ihr Interesse für die Ultrastrukturforschung geweckt: "Ich hatte Gelegenheit, Methoden der Elektronenmikroskopie in führenden Labors in Cambridge, London, Dundee und St.Andrews zu erlernen".

Als die Zoologin in den 1970ern nach Wien zurückkehrte, besetzte sie mit Ultrastrukturforschung eine Nische: "Es gab am Institut für Zoologie niemanden, der die Methoden der Elektronenmikroskopie beherr- schte. Diese Lücke konnte ich füllen." Begeisterung und Verständnis für Technik sind natürlich notwendig: "Ein gutes Gerät, Experimentierfreudigkeit gepaart mit der Kenntnis von Strukturen und Erfahrung in der Interpretation von Ergebnissen ergibt einen guten Elektronenmikroskopiker."

Waltraud Klepal hat in ihrem Fachgebiet schon an Forschungsprojekten von Biarritz bis Seattle und von Eilat bis Sydney gearbeitet. Die Arbeit und Diskussion mit Wissenschaftern anderer Länder "ist stimulierend und treibt den Fortschritt voran", meint Klepal.

Die Ultrastrukturspezialistin erforscht derzeit den programmierten Zelltod in verschiedenen Tiergeweben. Die Verbundenheit mit dem Meer ist geblieben und so wird in ihrer Arbeitsgruppe auch über die Anheftungsmechanismen von Tintenfischen gearbeitet. In einem laufenden FWF-Projekt werden einzelne Zelltypen charakterisiert und die produzierten Sekrete sowie deren Proteinbestandteile untersucht.

In ihrer Freizeit geht Waltraud Klepal gerne hinaus in die Natur, besucht Konzerte, Operetten, Opern und Theater. Ihre vier Patenkinder, die mittlerweile schon selbst wieder Kinder haben, halten sie ebenfalls auf Trab. (Astrid Kuffner/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 4.10. 2006)