Falls österreichische Kunst mit irgendeiner Gattung in die internationale Topliga vorgestoßen ist, dann im Bereich der Filmavantgarde.

 

Es beginnt in den späten 1950er-Jahren. Da ist zunächst das handgefertigte Kino des Peter Kubelka: maßgeschneiderte Filme, in denen Sekundenbruchteile sich auf der Leinwand zu funkelnden Protuberanzen fügen. Bald schon folgen die mathematisch-seriellen Kurzschnittkaskaden des Kurt Kren.

Dann das erweiterte Kino der revoltierenden 1960er-Jahre: mit herzerfrischender Gründlichkeit zertrümmern Ernst Schmidt jr., Hans Scheugl, Peter Weibel, Valie Export den Illusionsapparat des Kinos.

Als am Beginn der 1980er eine nachrückende Generation Filmschaffender sich hinter ihre Kameras klemmt, wiegt solches Erbe schwer. Sonderlich beirrt zeigt sich dennoch niemand, und bald schon stoßen viele der Jungen, auch ohne kollektiven Masterplan, auf Found Footage . . .

„Footage“ ist der englische Fachausdruck für Filmmaterial. Er leitet sich vom Längenmaß für den Film ab, dem „foot“. „Found Footage“ wiederum bezeichnet Filme, die teilweise oder zur Gänze aus fremden, irgendwo und irgendwie vorgefundenen Filmen hergestellt wurden. Found Footage wird von der Avantgarde schon lange verwendet; noch nie allerdings hat es eine dermaßen prägende Rolle gespielt wie in der jüngsten Vergangenheit. Die klassische Avantgarde war an den spezifischen, materialen Eigenschaften des Mediums interessiert gewesen. Nun wandte sich eine neue Generation den filmischen Inhalten zu, die zuvor von fremder Hand, mit oder ohne künstlerische Intention, gestaltet worden waren. Anders als beim Zitat geht es im Found- Footage-Film darum, diesen vorgefundenen Sinn zu brechen. Entworfen wird eine Meta-Ebene, von der aus latente Bedeutungen erkennbar gemacht und zugleich neue geschaffen werden.

Einige der zentralen Protagonisten dieses Genres finden sich in kleiner, aber feiner Auswahl auf dieser DVD vereint. Zugleich belegt selbige, dass keine Gattung, kein Genre vor dem Zugriff gefeit ist: Große Dramen ( passage à l’acte), Heimatfilme ( Definitely Sanctus ), Horrormovies ( Outer Space), das Kino der Filmpioniere ( WELT SPIEGEL KINO), Amateurfilme ( Passagen, Happy- End), Pornofilme ( Verdrehte Augen , Blah Blah Blah), Katastrophenmovies ( S.O.S. Extraterrestria), Lehrfilme ( Mirror Mechanics), oder ein wilder Mix aus all dem (Draschan).

Was sich liest wie das erweitere Semesterprogramm eines Filmlehrgangs für Fortgeschrittene, birgt einige der erfolgreichsten Filme, die das österreichische Kino jemals hervorgebracht hat. Nahezu jeder von ihnen wurde mehrfach auf internationalen Festivals preisgekrönt. Solche Erfolge verdanken sich künstlerischer Relevanz, gepaart mit gesteigertem Unterhaltungswert.

Eine hohe Vorgabe. Und gleich können Sie überprüfen, ob sie erfüllt wird.

Peter Tscherkassky, Filmemacher, zuletzt: „Instructions for a Light and Sound Machine“ (2005)