Die Wahlkarten sind die große Unbekannte dieser Nationalratswahl - niemand kennt ihre genaue Zahl, und auch über ihre mögliche Auswirkungen auf die Mandatsverteilung kann derzeit nur spekuliert werden. Bis zur Auszählung steht den Parteien jedenfalls noch eine Woche banges Warten bevor. "240.000 bis 290.000 Wahlkarten" sind es wohl, schätzt Robert Stein, Leiter der Abteilung für Wahlangelegenheiten im Innenministerium. Ausgestellt werden sie für jene Personen, die am Wahlsonntag nicht in ihrer Hauptwohnsitzgemeinde zur Urne gehen können. Das endgültige Auszählungsergebnis steht am Abend des kommenden Montag, also am 9. Oktober, fest.

Ein oder zwei Mandate

Realistischerweise können mit dieser Zahl von Wahlkarten ein bis zwei Mandate bewegt werden, glaubt Stein, gibt aber zu bedenken: "Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, dass sich bei einer Partei mehr als ein Mandat bewegt. Da müssten die Wahlkartenwähler schon völlig gegen den allgemeinen Trend wählen."

Alle Spekulationen basieren auf Erfahrungswerten aus vorangegangenen Wahlen. Die FPÖ liegt zum Beispiel bei den Wahlkartenwählern traditionell etwas schlechter als am Wahlsonntag, die Grünen liegen meist etwas besser - so ganz ist die Möglichkeit, dass die Grünen dritte Kraft werden könnten, also noch nicht vom Tisch. Dass das BZÖ noch aus dem Nationalrat fliegt, hält der Statistiker Erich Neuwirth für "ziemlich unwahrscheinlich". Knapp 1000 Wahlkartenwähler müssten laut Neuwirth dem BZÖ ihre Stimme geben, um den orangen Einzug in den Nationalrat zu sichern.

Diesmal wurden ungewöhnlich viele Wahlkarten ausgegeben, bestätigt Stein: "Über die Gründe dafür können wir aber nur spekulieren." Etwa 100.000 Wahlkarten sind im bisher bekannten Wahlergebnis eingerechnet, sie wurden von "fliegenden Wahlkommissionen" zum Beispiel in Krankenhäusern und Altersheimen eingesammelt.

Viele Stationen

Die anderen im Inland abgegebenen Wahlkarten haben noch einige Stationen vor sich. Stein erklärt den Vorgang an Hand des Beispiels eines Niederösterreichers, der in Wien gewählt hat: "Die Wahlkarte wird vom Wahlsprengel, in dem die betreffende Person ihre Stimme abgegeben hat, an die Bezirkswahlbehörde geschickt, die wiederum leitet sie an die Wiener Landeswahlbehörde weiter. Dort werden alle Wahlkarten gesammelt und an die Landeswahlbehörde nach St. Pölten geschickt, wo sie dann mit den Wahlkarten aus den anderen Bundesländern ausgezählt werden." Dieses System garantiere, dass die Stimmabgabe völlig anonym erfolgen könne, so Stein.

Bei Wahlkarten aus dem Ausland muss die Beglaubigung auf dem Umschlag überprüft werden, dann werden die Stimmzettel ebenfalls anonymisiert und ausgezählt. Berücksichtigt werden bei allen Wahlkarten natürlich auch eventuelle Vorzugsstimmen für Kandidaten aus dem Regionalwahlkreis. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.10.2006)