...Es geht darum, wie man das eigentlich klare Ja des Volksentscheides zu interpretieren habe.

* * *

"Im schlimmsten Fall können wir Kameras, Sender und den ganzen anderen Straßenmautkram an die Norweger verkaufen, die sind nämlich interessiert daran", regte ein Stockholmer Abgeordneter an. Der Anlass: In der siebenmonatigen Testphase seit Jahresbeginn sah es aus, als würden sich die Hauptstädter in einem Referendum mehrheitlich dagegen entscheiden, in Zukunft bei jeder Fahrt in die Innenstadt oder aus ihr heraus umgerechnet rund 6,50 Euro Tagesgebühr zu bezahlen.

Ob die Norweger nun zum Schnäppchenpreis an ein hochmodernes Mautsystem mit automatischer Abrechnung kommen, das die Schweden 411 Millionen Euro kostete, bleibt aber auch nach der Volksabstimmung mit klarem Ergebnis unklar. Trotz eines deutlichen Jas mit 51,7 gegenüber 45,6 Prozent auf der Nein-Seite könnte das Projekt "Trängselskatt" (Drängelabgabe), wie die Stockholmer ihre City-Maut nennen, doch noch scheitern.

Denn über die Maut muss nun das nationale Parlament entscheiden, und dessen Abgeordnete haben sich sogar innerhalb ihrer Parteien und politischen Blöcke darüber zerstritten, wie das Ja des Referendums zu „interpretieren“ sei. Während die Stockholmer Innenstadtbewohner größtenteils mit Ja stimmten, kreuzten die regelmäßig pendelnden Vorstadtbewohner überwiegend das Nein an und machten damit einen reinen Mehrheitsbeschluss fragwürdig. Hinzu kommt, dass Abgeordnete die Art der Fragestellung auf den Wahlzetteln nun in die eine oder anderer Richtung als manipulierend empfinden. Unmut rufen auch einige Randkommunen hervor. Sie sind erzürnt darüber, dass sie nicht einmal an dem Referendum teilnehmen durften. Andererseits halten es einige Stockholmer Innenstadtpoli_tiker für undemokratisch, überhaupt jemand anderen als die Innenstadtbewohner über die Maut abstimmen zu lassen.

Erste Erfolge

Dabei lief alles so gut für die Befürworter. Am Anfang der Testphase war die Mehrheit der Stockholmer zwar gegen die Maut, das änderte sich aber, weil das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel verbessert wurde. Zwischen 15 und 25 Prozent weniger Verkehr _in der Innenstadt war die Folge. Selbst in großer Entfernung zum Stadtkern war die Verkehrsberuhigung noch deutlich zu spüren. Angaben des Umweltamts zufolge sank auch die Kohlendioxidbelastung in der Innenstadt deutlich. Die Auswirkung auf die Luftqualität war dreimal so hoch, wie es bei einer Benzinpreiserhöhung der Fall gewesen wäre.

Trotz dieser positiven Effekte empfinden vor allem die Bewohner der Vororte die Abgabe als sozial unausgewogen. Denn der Abgabengürtel legt sich nur um die noble Innenstadt, und wer privilegiert genug ist, dort zu wohnen, hat gleich zwei Vorteile: Zum einen keine Zusatzkosten, zum anderen steigt die ohnehin hohe Wohnqualität durch den verminderten Verkehr. Zudem gab es Kontrollprobleme: Sich über Schleichwege in die Stadt zu schmuggeln wurde für waghalsige Stockholmer während der Testphase zum Alltagssport. Immer mehr Autokennzeichen wurden gestohlen, und einige Autofahrer verschmierten ihre Nummernschilder gar so, dass sie auf den Fotografien der Überwachungskameras nicht mehr lesbar waren.

Noch drückt sich die frisch gewählte bürgerliche Regierung um das Thema. Die Maut, ein Kind des abgewählten rot-rot-grünen Regierungslagers, ist keine Prioritätfrage für die bürgerliche Allianz. Wirklich sicher ist zum Thema City-Maut derzeit nichts, außer: Die Norweger müssen wohl noch eine Weile warten. (André Anwar aus Stockholm/DER STANDARD-Printausgabe, 30.09./1.10.2006)