500.000 sind noch in der James Dean-Phase

montage: derStandard.at
Eine Woche vor der Nationalratswahl sind rund 500.000 "unentschlossen". Meinungsforscher schätzen die wahrscheinlichste Wahlentscheidung ab. Wahlwerbung bis zuletzt kann bis zu einem Prozentpunkt bewegen.

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Wer eine Woche vor Wahlen die "Sehnsucht nach der Kristallkugel" verspüre, sagt Peter Filzmaier etwas maliziös, dem könne die Meinungsforschung leider nicht dienen.

Was der Politikwissenschafter damit meint, ist unter anderem, dass die Meinungsforschung das relativ neue und immer stärker werdende Phänomen der spät entschlossenen Wähler - im Experten-Sprech "late deciders" und "last minute deciders" - nur mit vielen, teils großen Variablen in ihre Umfragen einbauen kann.

Die Aussagekraft derselben ist nämlich bis zuletzt nur eine eingeschränkte - angesichts der Tatsache, dass "bis zu 500.000" (Filzmaier), "bis zu Wochenbeginn maximal 400.000" (Politologe Fritz Plasser), "circa 500.000, vielleicht ein bisschen mehr" (Meinungsforscher Werner Beutelmeyer) Wahlberechtigte ihre Entscheidung noch nicht getroffen haben, wem sie ihre Stimme geben wollen. Das sind ungefähr so viele Menschen, wie in Linz, Graz und Klagenfurt insgesamt leben.

"Wenn wir ehrlich sind", meint etwa Beutelmeyer stellvertretend für seine Branche, "müssen wir zugeben, dass wir das Problem mit der Zuordnung der Unentschlossenen nicht im Griff haben." Dieses beschränke sich im Übrigen nicht nur auf die Wahlentscheidung: "Auch Tourismus-Prognosen werden immer schwieriger, weil die Last-Minute-Buchungen zunehmen", sagt Beutelmeyer.

"Ausprägungen einer Multi-Options-Gesellschaft" nennt das der Politikwissenschafter Fritz Plasser. In einer Zeit, in der die Gewißheiten bröckeln, die sozialen Lebensumstände sich dramatisch verändert haben, die Menschen "information overload" verarbeiten müssten, seien Entscheidungen in letzter Minute letztlich eine logische Folge.

Wer sind nun die so genannten "Unentschlossenen"?

Wer sind nun die so genannten "Unentschlossenen", und wer zählt dazu? Laut dem Meinungsforscher Beutelmeyer jene, die auf die Frage "Wissen Sie, wen Sie wählen wollen?" mit "Nein", "Noch nicht", "Ich habe mich noch nicht entschieden" antworten. Nicht darunter fallen, seriös gerechnet, jene, welche schlicht die Antwort verweigern, sich aber möglicherweise bereits entschieden haben. Filzmaier: "Aus früheren Wahlkämpfen weiß man, dass es unter diesen einen tendenziell höheren Anteil an FPÖ-Wählern gibt. Filzmaier: "Hier haben wir es mit signifikanter Unter-Deklaration zu tun, bei den Grünen mit Über-Deklaration."

Unter denen, die sich tatsächlich noch nicht entschieden haben, sind, laut Plasser, überwiegend jüngere Wähler unter 30, ohne Parteibindung, und - mit einem leichten Überhang - weiblich. Plasser: "Wir wissen aus Untersuchungen, dass junge Frauen in vielerlei Hinsicht politischer denken als Männer." Frauen seien so genannte "issue voters", sie gäben jener Partei ihre Stimmen, die ihnen thematisch entgegen kommt.

Die unentschlossenen jüngeren Wahlberechtigten leben auch überwiegend im städtischen Bereich - "am Land sind die An- bindungen an politische Netzwerke noch viel stärker", analysiert Plasser.

Das Problem für die Meinungsforschung ist nun: Wie sich diese rund 500.000 Menschen entscheiden, kann nicht proportional aus den Umfrage-Rohdaten der bereits entschlossenen Wähler hochgerechnet werden. Der Politikberater Harry Schranz, der die SPÖ im Wiener Wahlkampf 2005 beriet, rechnet vor: "Vor zehn Tagen sagten in einer Wiener Umfrage 15 bis 16 Prozent der Wahlberechtigten, dass sie nicht wissen, wen sie wählen wollen. Rund zehn bis zwölf Prozent sagen, dass sie nicht wählen gehen. Das bedeutet, dass die Parteien bis zuletzt mit gelungener Wahlwerbung noch einen halben bis einen Prozentpunkt für sich entscheiden können."

Sein oder Nicht-Sein

Das bedeutet: Sein oder Nicht-Sein für BZÖ oder Liste Martin, aber auch den mögli- cher- weise entscheidenden Abstand zwischen den Großparteien und die Entscheidung im Kampf um Platz drei zwischen Grünen und FPÖ. Die zusätzliche Schwierigkeit: Die Unentschlossenen sind mit klassischer Wahlwerbung nicht zu knacken - dazu zählen auch TV-Auftritte, wie etwa ein "ZiB"-Interview. Was die "Elefantenrunde" bringt, darüber gehen die Expertenmeinungen auseinander.

Was von vielen Wahlberechtigten als störend empfunden wird, wie etwa aufgemalte Parteilogos auf den Gehsteigen zum Wahllokal, Türhänger in der letzten Nacht, SMS-Botschaften, hat durchaus seine Berechtigung: Bis zu zehn Prozent treffen ihre Entscheidung erst am Wahltag. (Petra Stuiber/DER STANDARD, Printausgabe, 26. September 2006)