Bagdad – Das irakische Parlament scheint es zu Wochenbeginn geschafft zu haben, eine drohende Entgleisung des politischen Prozesses erst einmal zu stoppen: Nach tagelangen Streitereien zwischen den, aber auch innerhalb der Fraktionen einigte man sich darauf, die Debatte über ein Föderalismusgesetz zwar auf die Tagesordnung zu setzen. Gleichzeitig haben jene politischen Kräfte, die mit der Implementierung der in der Verfassung vom Oktober 2005 vorgesehenen föderalen Strukturen sofort beginnen wollten, jedoch zugesagt, ihre Pläne erst einmal für 18 Monate aufs Eis zu legen. Bis dahin sollen keine Regionen gebildet werden.

Außer den Kurden, die de facto ohnehin bereits in einer autonomen Region leben – das kurdische Parlament in Erbil arbeitet gerade an einer eigenen Verfassung für Kurdistan –, wird die Regionalisierung besonders von der Schiitenpartei Sciri (Supreme Council for Islamic Revolution in Iraq) vorangetrieben. Die meisten anderen Parteien des großen Schiitenblocks ziehen nicht mit der Sciri mit – was nebenbei dazu führt, dass seit längerer Zeit wieder einmal Allianzen über konfessionelle und ideologische Grenzen hinweg geschmiedet werden. Säkulare und Sunniten sind vehement gegen eine Föderalisierung, sie warnen, dass sie letztlich zu einem Zerfall des Irak führen wird. Dass Kurden und Schiiten aber hinter die in der Verfassung vorgesehenen – wenn auch nicht näher erläuterten – Strukturen zurückgehen, ist auszuschließen.

Das Thema Föderalismus ist so kontroversiell – und explosiv –, dass der ebenfalls in der Verfassung vorgesehene Verfassungsrevisionsprozess, der sofort nach Zusammentreten des Parlaments Mitte März beginnen hätten sollen, bisher aufgeschoben wurde. Man hatte Angst, durch die De_batte die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten auf der Straße weiter anzuheizen. Nun hat man aber offensichtlich auch eine Einigung über die Aufstellung eines parlamentarischen Verfassungs­revisions­komitees erzielt, das aber für seine Vorschläge mehr Zeit haben wird als ursprünglich vorgesehen.

Über eine Verfassungsrevision sollte später in einem Referendum abgestimmt werden, momentan will sich das aber niemand so recht vorstellen. Bisher konnten alle noch so gelungenen Urnengänge die Gewalt nicht eindämmen helfen. (guha/ DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2006)