Foto: Ullstein Verlag
Das Café Einstein in einer stillen Straße von Westberlin ist eigentlich nicht der richtige Ort, um ein Interview mit Louise Jacobs zu führen. Denn das Einstein röstet und mahlt den Kaffee selbst, und verkauft ihn nicht nur als Melange und Einspänner, sondern auch mit Sack und Siegel. Kaffee ist ein Lifestyle-Produkt geworden, das man ganz individuell genießt. Louise Jacobs hingegen stammt aus einer Familie, die über Jahrzehnte hinweg den Kaffee in die deutschen (und österreichischen) Haushalte gebracht hat. Monarch oder Krönung hießen die Marken, mit denen das Haus bekannt wurde, und wer bei Kaffee an Meinl, Eduscho oder Tchibo denkt, der denkt sicher ebenso schnell an Jacobs.

Beim Interview mit Louise Jacobs soll es aber nur im weiteren Sinn um Kaffee gehen. Sie hat ein Buch geschrieben: Café Heimat. Die Geschichte meiner Familie. Darin blickt sie nur auf eine geringe Spanne eigener Familiengeschichte zurück, denn Louise Jacobs ist Jahrgang 1982, und den größten Teil dessen, was sie zu erzählen weiß, hat sie aus Gesprächen, aus Briefen, aus Erinnerungen ihrer Angehörigen, und wo die Fakten dürr blieben, hat sie sich mit ihrer Imagination beholfen. So ist ein interessantes Panorama der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert entstanden, mit weiten Verzweigungen ins Exil und einer Vorgeschichte, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht.

Jüdische Großmutter sephardischen Ursprungs

War es wirklich der Freund von Louise Jacobs, der mit einer Frage die ganze Sache auslöste? "Ja, das stimmt. Er fragte mich, ob es möglich wäre, daß ich spanische Vorfahren habe, weil er fand, daß ich so aussehe. Ich bin damit aufgewachsen, daß es hieß, die Jacobs waren ein norddeutsches Bauerngeschlecht. Die Geschichte meiner Mutter reicht aber ebenso weit zurück in das sephardische Judentum. Als ich das erfuhr, war ich überwältigt." Ein Bauernhof in der Nähe von Bremen bildet das Fundament der Familiengeschichte Jacobs. Die erstgeborenen Söhne übernahmen traditionell das Anwesen, die jüngeren mußten in die Stadt, um etwas zu lernen. So kam Walther Jacobs zuerst in die Kolonialwarenhandlung seines Onkels ("Caffee, Thee, Cacao, Chocoladen und Biscuits") nach Bremen, dann lernte er die Gesetze des Welt- und Kleinhandels im New York der Zwischenkriegszeit. Im Wirtschaftswunder nach dem Krieg wurde Jacobs eine prägende Marke, die Familie pflegte einen entsprechend herrschaftlichen Lebensstil, mit Pferdezucht als der eigentlichen Leidenschaft.

Walther Jacobs ist der Großvater von Louise. Er ist eine bestimmende Figur, gerade weil sie ihn persönlich nur auf Distanz ("und meistens nur auf der Rennbahn") erlebt hat: "Ich bin manchmal auch an meine Grenzen gekommen, weil mir dieses direkte Gespräch gefehlt hat, weil diese Vorstellung von ihm mir immer nicht ausreichte. Ich hatte das Gefühl, ich stehe immer einen Meter vor ihm, kann ihn aber nicht berühren." Die weibliche Linie in der Geschichte von Louise Jacobs ist viel gewundener.

Wie konnte es kommen, daß die jüdischen Schicksale im Familienverbund fast ein wenig in Vergessenheit gerieten? "Als meine Großmutter Ann nach dem Krieg nach Bremen zurückkam, war sie eine gebürtige Jüdin, getaufte Katholikin, ausgewanderte Deutsche, assimilierte Amerikanerin. Das Judentum ihrer Eltern gab es nicht mehr, dadurch hat meine Mutter dazu auch keinen Zugang mehr gehabt." Es blieb der Enkeltochter von Ann Jessurun vorbehalten, den komplizierten Wegen der Diaspora nachzuforschen. Else und Fritz Jessurun hießen die Urgroßeltern von Louise Jacobs. Die Jessuruns stammen aus einer jüdischen Familie, deren Wurzeln im 16. Jahrhundert auf der iberischen Halbinsel liegen. Auf der Flucht vor den Nazis wurde Lissabon zum Lebensmittelpunkt für die Jessuruns, von hier gingen einzelne Mitglieder nach Rio de Janeiro oder nach New York. Nur Ann, die Großmutter von Louise, kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Café Heimat ist dabei kein trockenes Geschichtsbuch, sondern ganz deutlich der Versuch, sich in ein Geschehen einzufühlen, das jungen Leuten von heute schon sehr weit in die Vergangenheit entrückt erscheinen mag. "Für mich ist das Vorbild, wie Isabel Allende von Erinnerung spricht. Erinnerung ist auch eine Form von Phantasie, jeder Einzelne erinnert sich anders. Ich fand das so wunderbar. Ich habe ja immer schon geschrieben, das ist eine Leidenschaft von mir, und so konnte ich nun aufarbeiten, was mit unterbewußt immer gefehlt habe: ich bin ja in der Schweiz aufgewachsen, und hatte immer das Bedürfnis nach einer Heimat."

Es ist alles schon geschrieben

Dieses Bedürfnis hat Louise Jacobs sich nun literarisch erfüllt, und sie trägt damit auch zu einer ganzen Welle von Erinnerungsbüchern bei, in denen die große Geschichte aus persönlicher Perspektive gesehen wird. "Oh, ich war sauer, als mir dieses Phänomen bewußt wurde. Ich habe Meines Vaters Land von Wiebke Bruhns gelesen, und dachte mir: Es ist alles schon geschrieben. Genauso nach dem Roman Vienna von Eva Menasse. Wieder dieses Gefühl: Es ist alles schon erzählt." Das Buch Café Heimat sollte aber eher von diesem Interesse profitieren. Das Publikum will Geschichte erzählt bekommen, und Louise Jacobs hat viel zu erzählen. Die Geschichte der Firma Jacobs zwischen 1933 und 1945 hat sie nicht im Detail erforscht, aber sie hat sich um diese Fragen nicht gedrückt. "Die Politik war für meinen Großvater ein Luxus. Es hat lange gedauert, bis ich das verstanden habe. Die Politik fand ja im Adel und im Bürgertum statt - das war mein Großvater nicht. Dadurch, daß er in der freien Hansestadt Bremen war, war er auch viel internationaler angebunden."

Louise Jacobs hat in ihrer Geschichte beide Facetten: die fatale deutsche Kontinuität und die Gebrochenheit des Exils. Das gibt ihr Freiheit. "Das Wahnsinnige ist ja, daß ich Deutsche bin, mich aber in der deutschen Geschichte nicht gefangen fühle." Vor fünf Jahren ging sie nach Berlin, machte das Abitur, und seither lebt sie als Schriftstellerin ein wenig abseits des bürgerlichen Erwerbslebens, das die Jacobs geprägt hat. Mit dem Erfolg ihres Buches scheint sie gerade auch zu einer jungen Galionsfigur in der Hauptstadt zu werden, wo es ein tiefes Bedürfnis nach einer neuen Bürgerlichkeit gibt. Kann Louise Jacobs damit etwas anfangen? "Was heute ganz stark gefördert werden muß, ist das Gespräch, der Salon, dass man sich persönlich zusammensetzt. Wir kommunizieren so viel technisch, mit Email und Handys. Der persönliche Kontakt muß gehalten werden. Was ich mir wünsche für meine Generation: dass wieder mehr diskutiert und gesprochen wird. Wenn man das Bürgertum nennen kann, bin ich dafür." (Bert Rebhandl/Der Standard/Rondo/15/09/2006)