Überlebensstrategien
Und nun 2006, dasselbe in Grün. Den Namibiern ist das fast ein wenig
peinlich. Normalerweise sähe es hier ganz anders aus, erfährt man an
jeder Ecke immer mit entschuldigendem Unterton. Normalerweise gäb's hier
eine ordentliche Wüste mit allem Drum und Dran und nicht dieses viele
Grünzeug. Und was heißt eine Wüste, man hat vier
davon - mindestens. Die Kalahari, die sich Namibia mit Botswana und
Südafrika teilt, die Ur-Namib mit den versteinerten und den sandigen
Dünen, die Nama Karoo, die sich südlich von der Hauptstadt
Windhoek bis nach Südafrika zieht, und die spektakuläre
Sukkulenten-Karoo im Küstengebiet. Spektakulär sind sie alle und die
Unterschiede oft nur graduell. Sukkulenten finden sich auch außerhalb der
Sukkulenten-Karoo, nur eben in geringerer Konzentration. Sie sind auf ihre Weise
- Wasser zu speichern um jeden Preis - die Pflanzen gewordene Formel der
namibischen Existenz: wenig Wasser, hohe Verdunstung, unbedingter
Überlebenswille. Eine Variante davon ist etwa der meterhohe
Köcherbaum der Nama Karoo. Er erhebt sich wie ein gekröntes Haupt
auf dickem Stamm mit einer Rinde wie abblätternder gelber Lack über
das Fußvolk der Sträucher und Felsen um ihn herum. Sogar die
Bergzebras und Strauße, die ästhetisch einiges zu bieten haben,
verweist er auf die Ferner-liefen-Plätze.
In der Kalahari verkörpert der Kameldornbaum die namibische Formel: ein
harter Bursch, der mit seiner Wehrhaftigkeit dem Buschmann als Schutz vor
Raubtieren dient und der seine Wurzeln bis in 60 Meter Tiefe wachsen lässt,
um ans Wasser zu gelangen. Damit bringt er das Nebenein-ander der Pflanzen
und Tiere in der Kalahari durcheinander. Viele Kameldornbäume bedeuten
weniger Wasser für andere Pflanzen, insbesondere für Gras, bedeuten
weniger Futter für die Tiere.
Der Tisch ist reich gedeckt
Aber 2006 ist das, wie gesagt, kein Problem. Die roten Kämme der
Kalahari-Dünen erheben sich gerade noch aus dem Grasmeer. Die
Antilopen des südlichen Afrika, Kudu, Oryx, Springbock, ziehen in gut
bestückten Gruppen ihre Kreise, die Löffelhunde (optisch eine
Mischung aus Fuchs und Riesenkarnickel) finden genug Kleingetier, die zu Recht
Furcht erregende Puffotter braucht nicht lange auf der Lauer zu liegen, die Beute
kommt wie beim Running Sushi fast von selbst.
Die namibische Formel ist ein scharfes Schwert. Es teilt alles Leben im Wüstenstaat kalt, hart und prompt in Gewinner und Verlierer. Wer das Wasser hat oder die Technologie, es zu fördern, oder sonstiges Know-how, um sich die vorhandenen Resourcen zunutze zu machen, gewinnt. Gewonnen haben im 20. Jahrhundert die Europäer. Sie wussten, wie man an genug Wasser kommt, um ein - in vergleichsweise bescheidenem Rahmen - agroindustrielles System zu etablieren, und sie nahmen das Land in Besitz, das - für europäische Begriffe - niemandem gehörte. Und "niemand" war schwarz.
Jetzt, nach mehr als einem Jahrzehnt Apartheid-Abschaffung, wagt sich die Regierung an die Wurzel des Übels und verteilt mit Förderungsmaßnahmen das Land neu. Es gibt günstige Angebote zum Landkauf für schwarze Namibier, mit der Auflage, Landwirtschaft zu betreiben, weniger günstige für weiße.
Der weiße Unmut eskaliert nicht wie in anderen Staaten des südlichen Afrika, denn einerseits gibt es ein Landflucht-Phänomen - die weißen Erben wollen die Höfe nicht mehr bewirtschaften -, andererseits wird weißes Know-how über die Bestellung des Landes in diesem extremen Ökosystem von der Regierung aktiv gesucht.
Drittens gibt es mit Landbesitz in Namibia nicht so viel zu gewinnen wie etwa in
Südafrika. Für Rinderbarone oder Obstplantagen-Millionäre gibt
es hier aufgrund der klimatischen Bedingungen keinen Humus, die Vorkommen
an Metallen und Edelsteinen sind nicht so vielversprechend wie etwa in
Botswana.
Öko-Touristen Seite an Seite mit den Jägern
Namibia bleibt die Ressource Tourismus und parallel dazu die Jagd, zwei
unfreiwillige Weggefährten, zu einer Zweck- gemeinschaft verdammt. Der
an Land, Leuten und Tieren interessierte Tourist will die frei vazierenden
Großantilopen sehen, einen freien Blick von den Erhebungen der Namib bis
hin zu den blauen Naukluft-Bergen haben. Der Jäger auch. Daher werden
kleinere Farmen aufgekauft, zusammengelegt und die Zäune entfernt. Die
großen Parks mit 12.000 Hektar und mehr, die dadurch entstehen,
nützen beiden. Denn der Jäger fühlt sich in seiner Waidmanns-
Ehr gekränkt, wenn ihm auf einer 1000-Hektar-Farm ein Kudu vor die
Flinte getrieben wird, wie dies etwa im platzmäßig beengteren
Südafrika oft der Fall ist.
Der ökologisch interessierte Tourist hat seinerseits kein Interesse an großen Hotelanlagen oder an sonstiger ausufernder Infrastruktur. Um das zu bekommen, muss er die Jagdindustrie tolerieren, die den Namibiern selbst keine solchen moralischen Probleme bereitet wie den Europäern. Denn vom Abschuss des Jagdgasts bleibt der Regierung das Abschussgeld, an dem der Jagdgastgeber und der Häuptling, auf dessen Land gejagt wird, mitschneiden. Das Fleisch bleibt zum Verzehr vor Ort. Die Trophäe wird in Namibia präpariert und nach staatlicher Kontrolle dem Jäger nach etwa einem halben Jahr an den Heimatort nachgeschickt. Dieses System macht die Jagd zu einem Motor für die Erhaltung und Wiederherstellung eines Landes ohne Zäune. Dafür muss der Öko-Tourist das geschäftige Treiben der Düsseldorfer Zahnärzte und der russischen Gasmanager mit ihren nagelneuen Safarihüten und den blitzenden Multifunktions-Chronografen am Handgelenk bei der Waffenkontrolle am Flughafen von Windhoek in Kauf nehmen und den Anblick der skurrilen Werbetafel des Tierpräparators auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt tolerieren.
Wie viele Jäger kommen, hängt vom internationalen Börsenklima ab. Steile Aufwärtstrends bringen viele Jäger. Die Kurve, von der das Aufkommen der Touristen abhängt, ist flacher. Vielleicht ist sie dafür nachhaltiger. (bs/Der Standard/Rondo/13/09/2006)