Anderthalb Wochen vor den Parlamentswahlen in Schweden wird der Wahlkampf von einem Skandal um Parteispionage im Computernetz der regierenden Sozialdemokraten überschattet. Die Frage, ob der Vorsitzende der Liberalen Volkspartei, Lars Leijonborg, sein Amt am Abend des 17. September noch innehaben wird, ist derzeit Gegenstand heftiger Spekulationen.

Bereits zu Wochenbeginn hatten die Sozialdemokraten auf einer nächtlichen Pressekonferenz die Bombe platzen lassen: Zweifelsfrei war demnach erwiesen, dass ein Funktionär des Liberalen Jugendverbandes seit Monaten systematisch im internen Datennetz der Regierungspartei "gewildert" hatte. Die sensiblen Informationen zur Wahlstrategie hatten die Liberalen in mehreren Fällen genutzt, um rasch auf sozialdemokratische Kampagnen zu reagieren.

Alles geleugnet

Die liberale Parteispitze, die jegliche Kenntnis der Hacker-Aktivitäten zunächst geleugnet hatte, ist inzwischen stark ausgedünnt: Nach dem Rücktritt von Generalsekretär Johan Jakobsson und der Einleitung von Ermittlungen gegen Pressechefin Niki Westerberg - beide hatten seit Monaten Bescheid gewusst - wächst nun der Druck auf Parteichef Leijonborg. Regierungschef Göran Persson sprach von einem "Riesenskandal".

Der Skandal ist der jüngste und Aufsehen erregendste in einem für schwedische Verhältnisse ungewöhnlich schmutzigen Wahlkampf. So hatten Sozialdemokraten den Vorsitzenden der Konservativen, Fredrik Reinfeldt, einer üblen Verleumdungskampagne ausgesetzt; ein Christdemokrat wurde bei dem Versuch überführt, getarnt als Job-Bewerber das sozialdemokratische Hauptquartier zu infiltrieren.

Außergewöhnlich ist der diesjährige Wahlkampf aber nicht zuletzt wegen der politischen Konstellationen. Im traditionell sozialdemokratisch geprägten Schweden ist das Jahrzehnte lang zersplitterte bürgerliche Lager diesmal geeint. Als "historisch" bezeichnen Wahlforscher das gemeinsame Wahlprogramm von Liberalen, Konservativen, Christdemokraten und Zentrumspartei. Diese "Allianz für Schweden" agiert als ernst zu nehmende Alternative zur sozialdemokratischen Minderheitsregierung und deren langjährigen Partnern, den Grünen und der Linkspartei.

Für den Sozialstaat

Die Herausforderer haben überdies aus früheren Fehlern gelernt: Mit Blick auf die solidarische Gesinnung des Durchschnittsschweden avisieren sie nur geringe Veränderungen bei Steuern und Sozialbezügen und beteuern ihre unverbrüchliche Treue zum Wohlfahrtsstaat. Schlau punktet man stattdessen in der Hauptfrage des Wahlkampfes - bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Gegenwärtig liefern sich das linke und das bürgerliche Lager ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Welche Auswirkungen der Hacker-Skandal auf den Wahlausgang haben wird, ist offen. Nahezu unvermeidlich scheinen aber schon jetzt negative Folgen für die Liberalen. Die in den 90-er Jahren oft als "zahnlos" kritisierte Partei hat inzwischen einen markanten Imagewechsel vollzogen: Sie profiliert sich wesentlich mit der Forderung nach "Recht und Ordnung", nach mehr Disziplin in der Schule, strengeren Anforderungen an Einbürgerungswillige und härteren Strafen für Kriminelle. Dem neuen Saubermann-Image dürfte der Skandal keinesfalls förderlich gewesen sein. (Anne Rentzsch aus Stockholm/DER STANDARD, Printausgabe, 7.9.2006)