Wien - "Noch immer wird die grausame Tradition der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) in rund 28 Ländern Afrikas, dem Nahen Osten und Asien praktiziert. Insgesamt gibt es zwischen 130 und 150 Millionen Opfer dieser unvorstellbaren Menschenrechtsverletzung und pro Jahr kommen schätzungsweise 3 Millionen Mädchen dazu", sagte Frauen- und Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat am Mittwoch anlässlich der Präsentation einer Studie über Genitalverstümmelung in Österreich. "Female genital mutilation ist mittlerweile ein globales Problem, das ebenso Immigrantinnen in Industriestaaten betrifft. Innerhalb der Europäischen Union konnte man die Zahl der Opfer bisher jedoch nur schätzen. Ich habe deshalb eine Studie initiiert, um einen Überblick über das Ausmaß der Genitalverstümmelung in Österreich zu erhalten."

Die Studie wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer und UNICEF Österreich durchgeführt. Im Februar 2006 gingen insgesamt 1.667 Fragebögen an niedergelassene Gynäkolog/inn/en und Kinderärzt/inn/en. Im Mai folgten dann 250 Fragebögen an Ärzt/inn/en von Gynäkologie-/Gebär- und Kinderabteilungen in öffentlichen österreichischen Krankenhäusern versandt.

Resultate

  • 14 Prozent der befragten niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen oder Kinderärztinnen und -ärzte haben bereits mindestens einmal in ihrer Ordination ein genitalverstümmeltes Mädchen oder Frau behandelt.

  • Je zwei Ärztinnen bzw. Ärzte in Wien und in der Steiermark wurden schon gefragt, ob sie eine Genitalverstümmelung durchführen, vier Ärztinnen oder Ärzte gaben an, von einer Genitalverstümmelung von Mädchen in Österreich gehört zu haben.

  • 16 Prozent der Krankenanstalten, die den Fragebogen retourniert haben, gaben an, dass bei ihnen genitalverstümmelte Mädchen oder Frauen behandelt wurden.

  • Drei Viertel der Opfer stammten aus Somalia und Äthiopien. Die Herkunft der restlichen Patientinnen war nicht bekannt.

  • 79 Prozent der befragten Krankenanstalten befürworten es, das Thema "Genitalverstümmelung" in die Curricula der medizinischen Aus- oder Weiterbildung aufzunehmen.

    Sensibiliserung, Opferschutz und Aufklärung

    "Mit der für die Curricula verantwortlichen Österreichischen Ärztekammer stehe ich bereits in konkreter Verhandlung, um Ärztinnen und Ärzte künftig besser zu sensibilisieren und auf den Umgang mit genitalverstümmelten Frauen vorzubereiten", so Rauch-Kallat. "Die Ergebnisse der Studie lassen den Schluss zu, dass in Österreich wenige bis keine Genitalverstümmelungen durchgeführt werden; zumindest nicht von in Österreich zugelassenen Ärztinnen und Ärzten. Offensichtlich kommen Frauen mit Genitalverstümmelung erst eine erhebliche Zeit nach einem solchen Eingriff nach Österreich. Wir verfolgen in der Bekämpfung traditionsbedingter Gewalt deshalb einen Problemlösungskurs, der sowohl auf legislativer Ebene als auch im Bereich Opferschutz und Aufklärung ansetzt. Diese Strategie stößt weltweit auf sehr positive Resonanz."

    International kaum Fortschritte

    "Obwohl es in Ländern wie Benin, Burkina Faso, Eritrea, Äthiopien, Kenia, Nigeria, Tansania, Jemen und der Zentralafrikanischen Republik Hinweise auf einen Rückgang der Beschneidungsraten gibt, gab es kaum Fortschritte hinsichtlich der weltweiten Ausrottung dieser Praktik", berichtete Dr. Gudrun Berger, Generalsekretärin von UNICEF Österreich. "Wir stellen jedoch einen neuen Trend fest: an immer mehr Mädchen wird der Eingriff von medizinischem Personal durchgeführt und nicht mehr von traditionellen Beschneiderinnen."

    Miteinbeziehung von SozialarbeiterInnen und Gesundheitspersonal

    UNICEF arbeitet deshalb sowohl auf Regierungs- als auch auf Gemeindeebene daran, diese Verletzung der Frauen- und Kinderrechte zu beenden. "Die endgültige Abschaffung der Genitalverstümmelung erfordert das Engagement von Regierungen, der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft. Strategien, Gesetze und auch Budgets müssen dementsprechend eingesetzt werden. UNICEF unterstützt vor allem lokale NGOs und Initiativen, die sich auf Gemeindeebene für die Abschaffung der Beschneidung einsetzen. Wichtig ist auch die Involvierung von religiösen und traditionellen Führern sowie von Gesundheitspersonal, traditionellen Heilern, Sozialarbeitern und Lehrern", so Dr. Gudrun Berger.

    Frauen- und Gesundheitsministerin Rauch-Kallat berichtete abschließend über die Implementierung eines Expert/innen-Gremiums im BMGF, das einen Leitfaden für den Umgang mit FGM für Ärztinnen und Ärzte sowie für medizinisches Personal erarbeiten wird. Diesem Gremium sollen Expert/innen des BMGF, Ärzt/innen und Vertreter/innen von Selbsthilfe-Organisationen angehören.

    SPÖ begrüßt Studie

    Nationalrätin Petra Bayr begrüßte indes die Studie und zeigte sich in einer Aussendung erfreut, dass sich weiterhin kein Verdacht auf eine in Österreich durchgeführte Genitalverstümmelung ergeben habe. Sie verwies zudem auf die Wichtigkeit der von der Afrikanischen Frauenorganisation betreute Beratungsstelle "Bright Future" - exemplarisch für den generellen Bedarf an solchen Einrichtungen. Durch ihre Nähe zu den MigrantInnen trage sie dazu bei, so Bayr, dass Hemmschwellen, sich Unterstützung zu holen, abgebaut werden.

    Weinzinger: Genitalverstümmelung endlich als Asylgrund

    Brigid Weinzinger forderte anlässlich der Präsentation die Anerkennung von FGM als Asylgrund: "Bedrohte und gefährdete Frauen haben bisher in Österreich kein Recht auf Asyl, auch wenn sie nachweisen können, dass sie akut bedroht sind. Sie sind von einem Gnadenakt abhängig, der in den letzten Jahren nicht einmal für eine Handvoll Frauen zu einem positiven Ende kam", so Weinzinger. Bisher habe Frauenministerin Rauch-Kallat keinerlei Interesse oder Engagement an den Tag gelegt, um von Genitalverstümmelung bedrohte Frauen zu diesem Rechtsanspruch zu verhelfen. "Das wäre eine echte Unterstützung für die betroffenen Frauen. Eine Studie allein ist eine ziemlich matte Bilanz". (red)