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Ein Meister des darstellerischen Understatements: Ulrich Mühe (53)

Foto: AP/Pfeil
Wien - Ulrich Mühe ist auf Tour. Montagabend war in Wien Station. Mühe, der große Bühnendarsteller, reist derzeit in seiner Funktion als Filmschauspieler. Das inkludiert kurze Interviews, in denen man sich kaum mehr als her-antasten kann an die Arbeit von einem, der aktuell im Kino einen bemerkenswerten Seitenwechsel vollzieht:

In Das Leben der Anderen, dem Kinodebüt des jungen deutschen Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck, ist Mühe ein Hauptmann der Stasi, der ein Künstlerpaar observiert. Im Dachboden über dessen Wohnung hängt er am Kopfhörer, und allmählich entwickelt er sich vom "Publikum" zum Regisseur, Autor und Akteur jener Vorgänge, die er eigentlich protokollieren und auswerten soll.

Der Film arbeitet also mit Spiegelungen und Verschiebungen. Die Person des Darstellers fügt eine weitere Ebene hinzu: Der Schauspieler Mühe, zur Zeit, die der Film behandelt, gerade am Beginn seiner Laufbahn als Star des Deutschen Theaters, ist quasi auch als Zeitzeuge involviert - in den 90er-Jahren hat er "seine" Stasi-Akte gelesen. Wie ist das nun für einen, zu dessen Selbstverständnis als Darsteller es erklärtermaßen nie gehörte, sich eine Rolle über den Rückgriff auf eigene Biografie anzueignen?

"Als ich mich damit beschäftigte, war natürlich klar, dass das ein Thema ist, das mich persönlich sehr angeht und das eine Zeit berührt, die ich intensiv erlebt habe. Nun war die Figur, die ich spiele, ja auf der anderen Seite verankert - nicht auf jener, auf der ich zu DDR-Zeiten stand. Insofern war es eine fremde Figur für mich. Es war sehr spannend, in mir nach den Momenten zu suchen, die so eine Figur möglich machen."

Dem Eindruck der Schematisierung, die der Gegensatz zwischen dem prallen Leben im Künstlermilieu und der spartanischen, einsamen Existenz des Hauptmanns Wiesler mitunter erzeugt, hält Mühe entgegen: "Das Ideal des Wohnens in der DDR war damals die ,Platte'. Der Wiesler wohnt in der Platte, das sieht man dann auch. Und noch eines vielleicht dazu: Ich hab es ja im Nachhinein mit als eine der größten persönlichen Beleidigungen empfunden, dass man von so geschmacklosen, dummen Menschen regiert wurde. Aber bei Wiesler ist das keine gewählte Geschmacklosigkeit, sondern er hat nie die Erfahrung gemacht, dass man auch anders leben könnte."

Anpassungsartist

Mühe spielt diesen Mann mit der ihm eigenen Konzentriertheit, die sich auch von der Leinwand vermittelt: als eine Art Anpassungsartisten, einen, der nicht auffällt, aber in anderer Hinsicht ganz präsent ist. Wie ist das zu erreichen, vor allem im Unterschied zum langen Vorbereitungsprozess am Theater? "Das ist einfach eine völlig andere Art, den Beruf auszuüben. Bei vielen Filmen würde es gar keinen Sinn machen, sich über Wochen mit einem Gegenstand auseinanderzusetzen, weil man nach einer Woche sozusagen an des Gedankens Blässe schon angekommen wäre. Aber bei manchen Filmen kann man das. Das Wunderbare ist dann, dass man wirklich an dem einen Drehtag die eine Szene spielt, nur diesen Tag hat, nur diesen Moment. Da muss man fit sein, das finde ich auch spannend."

Das Buch war nicht das erste seiner Art, das Mühe angeboten worden war. Aber das erste, bei dem er zusagte - unter anderem, weil es nicht so "meinungslastig" gewesen sei wie vieles, das man ihm zu diesem Thema in den 90er-Jahren angeboten hatte.

Der Erfolg des Films freut ihn: "Als ich den Film das erste Mal fertig gesehen habe, war ich selbst so berührt davon - was mir noch nie passiert ist, bei einem Film, wo ich selber mitmache: Da schaut man ja doch eher kritisch und denkt: ,na ja'. Und: ,Da, ach nee, das ist auch Mist'. Aber der Film, der hat mich echt gerissen. Und da dachte ich dann, wenn mir das passiert, dann ist da vielleicht was dran, was die Menschen berühren kann." (Isabella Reicher/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 8. 2006)