Rotkreuz-Helfer bei der schwierigen Arbeit im Südlibanon. In den umkämpften Gebieten war das Rote Kreuz die einzige humanitäre Organisation, die zu den Kriegsopfern vordringen konnte. Dennoch sind bis heute noch viele Dörfer für die Hilfskonvois unerreichbar.

Foto: Österreichisches Rotes Kreuz

Zur Person
Die 36-jährige Rotkreuz-Helferin Martina Schloffer ist seit 1996 beim Roten Kreuz tätig und leitete bis vor kurzem das Referat für Internationale Katastrophenhilfe in Wien. Ihre Einsätze führten die Burgenländerin bisher in den Irak, nach Eritrea, Sri Lanka und zuletzt in den Libanon.

Foto: Österreichisches Rotes Kreuz
Martina Schloffer arbeitete als Rotkreuz-Delegierte zwischen 20. Juli und 6. August im Libanon. Von Beirut aus koordinierte sie die Hilfsmaßnahmen im umkämpften Süden und kümmerte sich um Nachschub an den am meisten benötigten Gütern. Im Interview mit der derStandard.at schildert Schloffer die Probleme bei der Versorgung der betroffenen Zivilbevölkerung in einer Phase der heftigsten Kampfhandlungen zwischen Hisbollah und den israelischen Truppen. Das Gespräch führte Thomas Bergmayr.

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derStandard.at: Worin bestand Ihre Hauptaufgabe im Libanon?

Schloffer: Meine Funktion kann man sich wie eine Unternehmensberatung vorstellen, bloß mit weniger Theorie und viel aufgekrempelten Ärmeln. In jedem Land gibt es eine Rotkreuz- oder eine Rothalbmondgesellschaft, so wie bei uns das Österreichische Rote Kreuz. Viele brauchen schon in ruhigen Zeiten Unterstützung. Im Katastrophen- oder Kriegsfall sind diese Organisationen oft völlig überlastet. Meine Aufgabe ist es, das lokale Roten Kreuz dabei zu unterstützen, den Leuten im eigenen Land zu helfen.

derStandard.at: Was bedeutete dies konkret für ihre Tätigkeit im Libanon?

Schloffer: Im Libanon hatten wir für die Grundlagen der Hilfseinsätze zu sorgen. Der landesweite Rettungsdienst verfügt zwar über viele gut ausgebildete Freiwillige, doch die Rettungsfahrzeuge sind veraltet, und auch an Material für die vielen Verwundeten und Toten hat es nicht gereicht. Wir mussten die Fahrzeuge ständig reparieren lassen und gleichzeitig neue heranschaffen, die auch auf den zerbombten Straßen fahren können. All das sollte blitzschnell gehen und trotzdem strikten Beschaffungsrichtlinien folgen. Selbst im schlimmsten Chaos müssen die Abläufe wirtschaftsprüfertauglich sein. Da kommt man schon ins Schwitzen.

derStandard.at: Woran mangelte es am meisten in den umkämpften Gebieten?

Schloffer: Eines der größten Probleme war zunächst die Treibstoffversorgung. Letztlich hängt alles vom Benzin ab: Die Wasserpumpen, die landesweite Stromversorgung, die Spitäler und natürlich die Fahrzeuge. Das Rote Kreuz war die erste Hilfsorganisation, die eine Benzinversorgung gewährleisten konnte.

derStandard.at: Woher bekommt man in so einer Situation die benötigte Menge an Benzin?

Schloffer: Wir importierten Treibstoff sozusagen im großen Stil, zum Beispiel aus Ägypten. Wir haben also mehr oder weniger ein Tankschiff bestellt und mussten dafür natürlich auch um Erlaubnis ansuchen.

derStandard.at: Aber die Energieversorgung ist vermutlich nicht das einzige Problem im Süden des Libanon…

Schloffer: Nein, letztlich fehlte es an allem. Die vielen Menschen in der Region stehen nun vor dem Nichts, Medikamente und Lebensmittel werden dringend benötigt. Zuletzt haben wir etwa 100 Tonnen Mehl nach Tyrus gebracht, und dieses an die einzige dortige Bäckerei, in den Dörfern und palästinensischen Flüchtlingscamps verteilt. Allerdings konnten unsere Konvois nur einen Teil der Siedlungen erreichen. Wir reden hier von etwa 210 Dörfern, die in dieser Region des Südlibanon zu betreuen gewesen wären. Wir wissen teilweise immer noch nicht, wie es den Leuten in den von der Umwelt abgeschnittenen Siedlungen geht.

derStandard.at: Während der Kämpfe gab es von israelischer Seite Zusagen über einen freien "humanitären Korridor". Hat der tatsächlich existiert?

Schloffer: Nein, es gab keine Korridore, von denen wir etwas gemerkt hätten. Unsere Sicherheitsexperten hatten zwar laufend Kontakt mit allen Kampf-Parteien, damit wir unsere Einsätze koordinieren konnten. Es gab dann vereinzelte Freigaben und unsere Hilfskonvois durften in die Dörfer, um Hilfsgüter zu verteilen und Verwundete und Kranke zu evakuieren. Aber oftmals bekamen wir kein grünes Licht.

derStandard.at: Grünes Licht bedeutete eine sichere Passage zu den Hilfsbedürftigen?

Schloffer: Nein, nicht immer. Es gab es auch eine Grauzone, wo wir zwar grünes Licht hatten, aber die Kampfhandlungen dann doch weiter gegangen sind. Unsere Leute mussten dann unverrichteter Dinge wieder umkehren.

derStandard.at: Gab es Angriffe auf Rotkreuz-Hilfskonvois?

Schloffer: Die Einsätze waren außerordentlich schwierig und gefährlich. Es kam immer wieder vor, dass entlang der von uns befahrenen Straßen Kämpfe stattfanden und unsere Hilfskonvois ins Kreuzfeuer gerieten. Es gab auch einen markanten Vorfall, bei dem zwei Ambulanzfahrzeuge bei einem Luftangriff getroffen wurden. Ob diese Angriffe beabsichtigt waren oder in irgendeiner direkten Beziehung zu den Hilfskonvois standen, darüber kann ich allerdings nichts sagen.

derStandard.at: Wie hat das Rote Kreuz auf den Luftangriff reagiert?

Schloffer: Hier wird noch zu klären sein, was genau passiert ist. Wir haben jedenfalls Beschwerde bei den kämpfenden Parteien eingereicht und offiziell angefragt wie das passieren konnte.

derStandard.at: Waren Sie auch persönlich in Gefahr?

Schloffer: Sicherlich gab es immer eine gewisse Gefahr, immerhin wurde auch Beirut bombardiert. Wir waren jedoch in einem verhältnismäßig sicheren Stadtteil und haben versucht, die Gefahren für uns so gering wie möglich zu halten, damit wir arbeiten konnten. Viel exponierter waren da natürlich die Helfer im Süden.

derStandard.at: Wie geht man als Helfer mit der täglichen Gefahr um?

Schloffer: Einerseits ist man ja trainiert auf solche Situation, zum anderen gibt es sehr strenge Sicherheitsrichtlinien, an die man sich auch halten muss. Ich vergleiche das gerne mit einer Fahrt auf der Südautobahn. Auch dort habe ich bedenken, aber es ist ein kalkulierbares Risiko. Bei solchen Einsätzen wie im Libanon ist das ähnlich. Außerdem fungiert unser Symbol als eine Art Schutzschirm. Das Rote Kreuz ist nach den Genfer Abkommen von allen Parteien zu respektieren, und dies geschieht in der Regel auch.

derStandard.at: Es gab auch Gerüchte wonach Rotkreuzfahrzeuge von der Hisbollah für Waffentransporte genutzt wurden. Wissen sie darüber etwas?

Schloffer: Es gibt natürlich immer wieder Verdächtigungen und Gerüchte in alle Richtungen. Von konkreten derartigen Ereignissen habe ich jedoch nichts gehört.

derStandard.at: Stichwort Blindgänger: Wie groß beurteilen Sie nun die Gefahr für die heimkehrenden Flüchtlinge und jene, die nicht fliehen konnten oder wollten?

Schloffer: Wir erwarten hier ein massives Minen- Problem. Das Rote Kreuz trainiert die Bevölkerung in eigenen Kursen darauf, wie sie mit herumliegenden Sprengsätzen umgehen müssen. Wir haben etwa 300 ausgebildete Freiwillige, die bereits vor dem aktuellen Konflikt im Süden in den Dörfern unterwegs waren, um die Leute auf das Minenproblem aufmerksam zu machen. Da müssen wir jetzt sehen, dass wir dieses System, wieder reaktivieren. Die Entminung selbst ist allerdings eine staatliche Aufgabe damit hat das Rote Kreuz nichts zu tun.