Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten-Archiv – zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war heute. Da hat P. dann ein Mail geschickt. Dass ihm die ganze Verbindung zwischen Politik und Banken wurscht sei, erklärt er darin. Und zwar egal, ob es um Kärntner blauorange oder Wiener rote Banker gehe. Die politische Färbung von Opportunismus, Rektalakrobatik und Schamlosigkeit, meint P., würden schließlich eher von den regionalen Umständen denn von irgendwelchen Ausgedinge-Begriffen wie „Ideologie“ oder gar „Überzeugung“ begleitet und bestimmt. Aber das, sagt P. dann im zweiten Absatz seines Mail, wolle er eigentlich gar nicht als zentrale Botschaft seiner Reaktion auf die Bawag-Stadtgeschichte verstanden wissen. Er zürne der Bawag, also eigentlich ihren Managern, aus einem ganz anderen Grund.

Es gehe ihm, sagte P., um die Familie. Die gehe ihm ab. Schmerzlich. Die Bawag-Familie, schreibt P., sei über Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, eine Konstante in seinem Leben gewesen. Sie habe ihm – je nach eingesetztem Sujet gesagt, welche Jahreszeit gerade sei. und auch sein Wertsystem zusammen gehalten: Eine Familie, das sind Vater und Mutter und Kinder. Vom Gefühl her auch ein Hund. Alle wirken blond und haben weiße Zähne (auch der Hund). Man lebt, wohnt in warmen, weichen Farben – und trägt braves, flauschiges Textil. Alle sind glücklich. Immer. Und alles bleibt gleich. Für immer.

Die Initiation

Die Bawag-Familie, schreibt P., war immer heil. Und sauber. Und habe sogar seine sexuelle Initiation sauber, besser noch: rein und clean, schreibt P., vonstatten gehen lassen: Im Frühjahr und im Sommer, wenn die Bawag-Familie (natürlich strahlend) und händchenhaltend eine abfallende (natürlich sanft), grüne (natürlich satt) und blumenbewachsene (natürlich natürlich) Wiese hinab lief, wären die Brüste der Mutter unter der Bluse (trotz kreuzbieder über die Schultern um den hals geknoteten Pullis, glaubt P. sich zu erinnern) immer so fröhlich auf und nieder gehüpft. Und er, schreibt P., habe sich dazu nie etwas gedacht.

Schon als Kind, schreibt P., habe er den Anblick dieser hüpfenden Brüste als gottgegeben und daher nicht weiter beachtenswert akzeptiert. Aber als dann, er sei an der Schwelle zur Pubertät gestanden, schreibt P., ein Freund – einer von denen, die später als erste geraucht und Bier getrunken hätten – eine einschlägige Bubenzote zu den Brüsten und dem allen Anschein nach nicht vorhandenen BH der Bawag-Mama von sich gegeben hätte, habe sich ihm plötzlich und erstmal, schreibt P., die Faszination der Welt des Weiblichen erschlossen. Oder eröffnet.

Herzausreissergefühl

Und auch wenn sich der große Rest seiner Pubertät dann eher verschwitzt, schmierig und keuchend über eklige, weitergereichte und verklebte Heftchenbilder gebeugt abgespielt habe, gesteht P., sei ihm diese erste, reine und knabenhafte Begeisterung bis heute nie peinlich gewesen: Die Brüste der Bawag-Mutter waren, schreibt P., der Anfang. Und immer, wenn er die Bawag-Familie dann über die Wies laufen gesehen habe, sei das ein bisserl so gewesen, wie das Wiederhören jener Herzausreisser-Nummern, die Herr Morrissey in den späten 80er Jahren doch extra und eigens für ihn geschrieben hatte.

Aber ab irgendwann, sagt P., habe er dann kaum mehr ferngesehen. Da sei die Bawag-Familie dann langsam aus seinem Gesichtsfeld verschwunden. Aber er habe in der Gewissheit gelebt, dass immer dann, wenn der Frühling heraufzöge, die Bawag-Mutter wieder über blühende Wiesen laufen würde. Bis in alle Ewigkeit.

Dann aber sei der Bawag-Skandal ruchbar geworden. Er habe, schreibt P., mit Freunden über die Bank und die Bilder zur Bank geplaudert und dabei auch seine Erinnerungen und Assoziationen zur Bawag-Familie offenbart. Und dann habe ihn ein Freund von der Klippe gestoßen: Die Bawag-Familie, musste P. da hören, habe schon lange keiner mehr im Fernsehen gesehen. Irgendwann sei sie verschwunden gewesen. Und das sei sicher schon ein paar Jahre her.

Seither, klagt P., habe er das Gefühl, bestohlen worden zu sein. Von den Managern der Bawag. Und beinahe, mutmaßt er, habe er den verdacht, dass das Verschwinden der Bawag-Familie zeitlich mit den Hasardspielen und den Spekulationen der selbstherrlichen Manager zusammen gefallen sein könnte. Und zumindest das, jammert P., hätte doch jemandem auffallen müssen. Aber jetzt sei es wohl zu spät.