"In jedem Buch etwas anderes machen": Thomas Glavinic.

Tipp

Am Donnerstag, 17.8., um 20.30 Uhr, liest Thomas Glavinic im Rahmen der Reihe O-Toene im Museumsquartier Wien aus dem neuen Roman "Die Arbeit der Nacht".

Foto: STANDARD/Heribert Corn

Thomas Glavinic: "Die Arbeit der Nacht". Roman. € 22,10/400 Seiten. Hanser, München 2006

Rezension von Daniela Strigl:
Wenn der Schläfer erwacht, ALBUM, 5./6.8.2006

Buchcover: Hanser

Mit Sebastian Fasthuber spricht Glavinic über Freud und Leid beim Schreiben, leichte und schwierige Bücher – sowie über die Angst, dass es seinen Roman bereits gibt.

Wien – Die Arbeit der Nacht sei sein "persönlichstes Buch bisher", sagt Thomas Glavinic. In früheren Romanen hat der 34-jährige Autor bereits seine Leidenschaften Schach (Carl Haffners Liebe zum Unentschieden) und Fußball (Herr Susi) abgehandelt, in seinem jüngsten, auf Bestsellerkurs befindlichen Werk aber rührt er nun an existenziellen Dingen: Einsamkeit, Angst, Tod.

Der Held Jonas hat einiges mit dem Autor gemeinsam. Er ist gleich alt, lebt in einer Wohnung im 20. Bezirk, die auch Glavinic eine Zeit lang bewohnt hat, und wird vor allem von ähnlichen Ängsten geplagt wie sein Schöpfer. So verstörend und düster Die Arbeit der Nacht über weite Strecken aber auch geraten ist, am Ende spendet der Glaube an die Liebe Hoffnung: "Man kann über Jonas vieles sagen, aber er hat sich für die positive Seite entschieden."

STANDARD: Jonas erwacht und stellt fest, dass er der letzte Mensch auf der Welt ist. Einen fast 400 Seiten langen Roman mit nur einer handelnden Figur zu schreiben, muss eine Riesenherausforderung sein.

Glavinic: Es ist äußerst schwierig, nicht in Monotonie zu verfallen. Man kann nur aus der Perspektive dieser einen Person schreiben und es gibt auch keine Interaktion. Nach 30 Seiten dachte ich noch, es würde eine Novelle von 150 Seiten werden. Das Buch hat sich erst beim Schreiben zu etwas Größerem entwickelt.

STANDARD: Ein schwieriges Buch?

Glavinic: Den Kameramörder habe ich in sechs Tagen geschrieben und großes Vergnügen dabei gehabt, dem Ich-Erzähler seine wahnsinnige Sprache unterzujubeln. Dieses Buch habe ich in zweieinhalb Jahren geschrieben und kein einziges Mal lachen müssen, sondern mich im Gegenteil jeden Tag am Schreibtisch in Angstzustände hineingelebt. Weil es auch ein Buch über meine Ängste und Emotionen ist. Die Szene, wo Jonas sich im Wald verirrt und über den Tod nachdenkt, habe ich fast nicht schreiben können. Ein paar Mal habe ich mir schon am Nachmittag ... – na ja, sagen wir: Ich war in unangenehmen Situationen.

STANDARD: Die Grundidee ist keine neue. Sie zitieren im Buch ja auch Herbert Rosendorfer, der in "Großes Solo für Anton" von einem ähnlichen Szenario ausgegangen ist.

Glavinic: Mir war klar, dass ich mit dem Sujet kein Neuland betreten würde. Es hat mir auch bald jemand von Rosendorfers Buch erzählt. Ich hatte aber die Einschätzung, dass Rosendorfer literarisch andere Dinge interessieren als mich. Trotzdem hatte ich ein unangenehmes Gefühl bei der Sache. Als ich bei Seite 80 war, bekam ich einen Brief von Herbert Rosendorfer.

STANDARD: Der ja auch Jurist ist.

Glavinic: Ich glaube, er war Richter. Mir war klar: Der schickt mir eine einstweilige Verfügung. Aber nein, er schrieb, dass er meinen Kameramörder mag und für eine Buchseite in einer Südtiroler Tageszeitung einen Beitrag von mir möchte. Ich habe ihm gleich mein Dilemma geschildert, und er hat mich beruhigt, er sei auch nicht der Erste an diesem Thema gewesen.

STANDARD: Die Geschichte bekräftigt die Theorie, dass man durchs Schreiben Vorgänge auslösen kann – auch wenn keiner weiß, was man schreibt.

Glavinic: Durch diesen Zufall habe ich einen Freibrief bekommen, meinen Roman zu schreiben. Ich glaube übrigens auch an Karma, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

STANDARD: Jonas fürchtet die Nacht. Da verwandelt er sich in den Schläfer, der seine Bemühungen, trotz Einsamkeit halbwegs bei Sinnen zu bleiben, untergräbt. Wie schlafen Sie?

Glavinic: Ich schlafe selten ohne Licht und Radio. Meine Frau hat natürlich keine Freude daran. Mein zweieinhalbjähriger Sohn kommt oft und schläft bei mir, weil er sich allein fürchtet. Ich fürchte mich dadurch auch weniger. Fragt sich nur, wer bei wem schläft.

STANDARD: Das Schreiben hat keine Ängste beseitigt?

Glavinic: Nein, es hat sich nichts gebessert dadurch. Ich glaube sowieso nicht an Schreiben als Therapie. Ich sehe es als Dauerbeschäftigung an, ohne die ich mich vermutlich früher oder später in der einen oder anderen Form des betreuten Wohnens wiederfinden würde.

STANDARD: Es heißt einmal, jeder Mensch würde sich in sieben Jahren so stark verändern, dass er schließlich ein anderer sei. Ihr erster Roman "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden" ist vor acht Jahren erschienen. Wie sehen Sie den, der sie damals waren?

Glavinic: Ich glaube, als Autor habe ich mich nicht so stark verändert wie als Mensch. Ich bemühe mich allerdings, mit jedem Buch etwas anderes zu machen. Ich stelle mich mit mir selber in den Ring und schaue, ob ich es kann. Daran kann man auch scheitern, aber ich wüsste nicht, was daran reizvoll sein soll, zehnmal den Kameramörder zu schreiben. Wobei es im Buchhandel möglicherweise von Nachteil ist, so zu arbeiten. "Der, der sich immer neu erfindet": Ich weiß nicht, ob das zur Marke taugt.

STANDARD: Gegen Ende des Romans betritt Jonas eine Schriftstellerwohnung. Im Regal stehen ein Schachbuch, ein Krimi und ein Lebensratgeber – die Bücher von Thomas Glavinic. Warum fehlt der Fußballroman "Herr Susi"?

Glavinic: Weil es kein gutes Buch ist. Das zweite Buch ist sowieso für fast jeden Schriftsteller ein Problem.

Es ist Folklore, aber es stimmt: Man hat das ganze Leben Zeit für den ersten Roman, für den zweiten hat man nur zwei Jahre. Herr Susi war eine reine Kopfgeburt und hatte nichts zu tun mit mir. Es war mir eine Lehre. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.8.2006)