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Britta Steffen, Deutschlands neue Schwimmriesin, belächelt ihren Weltrekord über 100 m Kraul.

Foto: Reuters/Rattay
Deutschland sucht den Superstar? Mitnichten, Deutschland ist fündig geworden. Britta Steffen, 22 Jahre alt und aus Schwedt an der Oder, hat Budapest ihren Stempel aufgedrückt. Dreimal kraulte Steffen, drei Goldmedaillen und drei Weltrekorde waren das Resultat, zwei mit der Staffel, einer solo in der Königsdisziplin, dem Hunderter. Nachdem sie angeschlagen und zur Leuchttafel geblickt hatte, formten ihre Lippen das Wort "unglaublich". Die, wie Deutschland sie jetzt nennt, "neue Franzi van Almsick" war aus heiterem Himmel gefallen, oder, was die EM betrifft, aus Wolken verhangenem. Dass die 2004 zurückgetretene Van Almsick in Budapest nach Steffens Einzelsieg die erste Gratulantin war, passte bestens ins Bild.

Steffen ist alles andere denn Senkrechtstarterin, von Kindesbeinen an schwamm die heute 1,80 Meter große Blondine von Erfolg zu Erfolg, in Potsdam ging sie zur Sportschule, mit 17 nahm sie an Olympischen Spielen teil, das hätte der Schub sein können, doch es war der Knacks. In Sydney 2000 wurde Steffen nur im Staffel-Vorlauf eingesetzt, das enttäuschte sie so, dass sie regelrecht abtauchte. Sie übersiedelte zur SG Neukölln, trainierte fortan mit Van Almsick, um allerdings fortan in deren Schatten zu stehen. Olympia 2004 in Athen war der Tiefpunkt, Steffen schien zu resignieren. "Wenn ich schlecht geschwommen bin, habe ich mich als schlechter Mensch gefühlt. Ich habe mich nur über das Schwimmen definiert."

Sie nahm eine Auszeit, ließ sich therapieren, studierte (Wirtschaftsingenieurwesen) und bekam wieder Lust aufs Schwimmen. Ein Jahr ist das her. "Ich habe gespürt, mein Traum ist noch nicht zu Ende. Jetzt passen Kopf und Körper zusammen." Die deutschen Kraulerinnen sind wieder das Non plus ultra, auch ohne Stars wie Van Almsick und Sandra Völker. Laut FAZ mögen sich die Australierinnen nun wundern, "ob bei dem unerwarteten Konter alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Damit werden die Deutschen leben müssen". Laut ihrem Trainer Norbert Warnatzsch, der auch Van Almsick betreute, hat Steffen "zuletzt zehn Kilo abgenommen, natürlich unter strenger Obhut". Die Deutschen gehen überhaupt auf Nummer sicher, künftig werden jährlich 30.000 Euro zusätzlich in interne Dopingtests investiert.

Für Steffen erklärt sich alles damit, dass es sich kaum erklären lässt. "Früher wusste ich nicht, wieso ich verloren habe. Jetzt kann ich nicht sagen, wieso ich gewinne." Gut, der deutsche Verband hat mit dem Norweger Örjan Madsen einen neuen Sportdirektor, er gilt als beinhart und hat nach Klinsmann'schem Vorbild "ein neues Wir-Gefühl" geschaffen. Für Steffens Weltrekorde aber kann er nichts, sie sind ihm in den Schoß gefallen. Als große Hoffnung der Deutschen gilt Steffen nun im Hinblick auf die WM 2007 und Olympia 2008. "Ich dachte immer, mit einem Weltrekord fühlt man sich als Übermensch", sagte sie in Budapest. "Jetzt stelle ich fest, man fühlt sich genauso wie vorher." Den Zweihunderter, über den Van Almsick noch den Weltrekord hält, hat Steffen am Freitag ausgelassen. Die Lücke, die FvA hinterlassen hat, scheint so oder so geschlossen. (Fritz Neumann aus Budapest - DER STANDARD PRINTAUSGABE 5./6.8. 2006)