Hans-Peter Martin tritt gerne in der Farbe des Erlösers auf: Weiße Kleidung soll seine selbstgewählte Rolle als Saubermann der Politik unterstreichen.

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Wien - Das Taktieren hat ein Ende: Der EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin hat offiziell gemacht, worüber seit Wochen gemutmaßt wurde: Er wird am 1. Oktober bei den Nationalratswahlen antreten, und zwar mit der "Liste Dr. Martin - für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit".

Am Samstagnachmittag veröffentlichte er eine entsprechende schriftliche Erklärung - und bat gleichzeitig um Unterstützung. Bis 25. August muss Martin, der bei den EU-Wahlen im Jahr 2004 einen Überraschungserfolg von 14 Prozent landete, nun 2600 Unterstützungserklärungen beisammen haben, um österreichweit antreten zu können.

Mediale Unterstützung

Da er mit medialer Unterstützung der Kronen Zeitung rechnen kann (das Blatt veröffentlichte in der Sonntagsausgabe einen als Gastkommentar verbrämten einseitigen Wahlaufruf Martins), dürfte das keine allzu große Hürde für ihn darstellen.

Die professionellen politischen Beobachter geben dem 49-Jährigen jedenfalls gute Chancen, den Einzug ins Parlament zu schaffen. Sein Antreten verändert die Ausgangslage für den Wahlkampf massiv. Zwischen den Kleinparteien, die auf Protestwähler setzen, könnte es zu einem harten Verdrängungswett- bewerb kommen, der vor allem auf Kosten des BZÖ geht.

Proteststimmen

"Sowohl SPÖ als auch FPÖ wird Martin Stimmen von EU-kritischen Wählern wegnehmen", analysiert OGM-Forscher Peter Hajek, "eine "massive Gefahr"ortet er für das BZÖ, wo Martin "Proteststimmen absaugen" wird.

Ähnlich die Analyse von Imas-Meinungsforscher Andreas Kirschhofer, der in einer ersten Umfrage ein Sympathiepotenzial von zehn bis elf Prozent für Martin sieht und ein Ergebnis von acht Prozent für möglich hält: Auch er glaubt, dass Martins Antreten "für die Kleinparteien wie BZÖ, FPÖ und auch die Grünen eine schmerzhafte Sache"wird. Martin werde nämlich vor allem diesen politischen Gruppierungen Wähler wegschnappen, weil er speziell politikverdrossene Österreicher anspricht.

Koalitionstechnik

"Es ist nicht unbedingt wahrscheinlich, dass es alle sechs schaffen", prophezeit auch der Politologe Peter Filzmaier. Er rechnet damit, "dass der eine oder andere auf der Strecke bleiben wird".

Koalitionstechnisch könnte sich damit die Situation ergeben, dass sich nur eine große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ ausgeht. Auf der anderen Seite gibt der Politikexperte zu bedenken, dass - wenn die eine oder andere Kleinpartei nur knapp an der Vierprozent-hürde scheitert - "die Mandate für die Großen billiger werden". In diesem - auch realistischeren - Szenario könnten sich Schwarz-Grün oder Rot-Grün bequem ausgehen.

Gelassenheit

Die anderen Parteien bemühten sich am Wochenende, auf die Kandidatur Martins demonstrativ gelassen zu reagieren. Die ÖVP betonte seine sozialdemokratische Vergangenheit, die SPÖ gab an, seine Kandidatur zu respektieren, aber ihren Weg "unbeirrt weiter"zu gehen. Etwas schärfer die Grünen, die von einer "Wählertäuschung"sprachen. Offensichtlich überwiege bei Martin die "Eitelkeit, wieder im Rampenlicht zu stehen, als in Brüssel etwas in Bewegung zu setzen". Die FPÖ pochte prompt auf ihren Alleinvertretungsanspruch in Sachen EU-Kritik, und das BZÖ argumentierte taktisch: "Wer Martin die Stimme gibt, wählt Rot oder Schwarz, weil dann eine große Koalition des Stillstandes droht". (Barbara Tóth/DER STANDARD, Printausgabe, 31.7.2006)