Foto: Schirmer-Graf
"Wie ist es, das Kind berühmter Eltern zu sein?", lautet die Standardfrage an sie. "Ich hatte nie andere Eltern, daher fehlt mir der Vergleich", ist Isabella Rossellinis Antwort. Aber weil die unbefriedigend ist, holte sie zum 100. Geburtstag ihres Vaters, des großen Regisseurs Roberto Rossellini, doch ein bisschen weiter aus.

Ergebnis ist ein schmales, aber feines Buch (mit dem schönen Titel Im Namen des Vaters, der Tochter und der heiligen Geister), das voller flott erzählter persönlicher Erinnerungen ist. Und ein innovativ konzipierter Film - My Dad is 100 Years old -, der im Buch dokumentiert ist.

In diesem Film schlüpft Isabella Rossellini in die Masken von Größen der Filmgeschichte - neben ihrer Mutter Ingrid Bergmann sind es Chaplin, Fellini, Hitchcock und David O. Selznick - und lässt diese mit ihrem Vater reden und streiten. Dieses imaginäre Herrenquintett plus Herzdame ist ein "Dreamteam", um über Film kompetent zu parlieren. Und extrem kurzweilig, weil Isabella Rossellini diesen fiktiven Dialog mit Witz und ohne Pathos geschrieben hat.

Weil so viele Quellen fröhlich vor sich hin sprudeln, erfährt man erfreulich mühelos erstaunlich viel über Roberto Rossellini, den Mitbegründer des italienischen Neorealismus und Inspirator der Nouvelle Vague. Zum Beispiel, dass er die technischen Erfindungen des 20. Jahrhunderts für so bedeutend hielt wie die Entdeckung des Feuers in der Urzeit. Dass er ein begeisterter Autofahrer war, der früher für Ferrari Rennen fuhr. Dass er sich - "um Energie zu sparen" - sehr gerne den ganzen Tag im Bett aufhielt. Und dass auf seinem Kopf immer ein Eisbeutel lag, "um das Gehirn abzukühlen, wenn es vom vielen Denken heißgelaufen war."

"Enzyklopädist des Kinos"

Wenn man die beeindruckende Filmografie liest, ist das kein Wunder: Neben seinen Meisterwerken (Rom, offene Stadt; Paisà; Viaggio in Italia) hat Rossellini unter anderem auch noch Filme über Heilige (Jesus, die Aposteln, Franziskus, Jeanne d'Arc), Philosophen (Sokrates, Augustinus, Pascal, Descartes) und Politiker (Louis XIV., Alcide de Gasperi, Salvador Allende) gedreht, zum Drüberstreuen auch noch Chroniken von ganzen Epochen wie Das Zeitalters des Eisens und Das Zeitalter des Cosimo de Medici. Den Ehrentitel "Enzyklopädist des Kinos" hat sich Rossellini also redlich verdient. Pleite war er trotz der vielen Arbeit mehr als ein Mal. Sein aufwändiger Lebensstil passte einfach nicht zu den Einnahmen aus den Filmen, die nur selten großes Publikum fanden. Fellini, der bei Rom, offene Stadt - gedreht für weniger als 20.000 Dollar - als Drehbuchautor mitarbeitete, erhellt die Rolle des Mangels und des Zufalls bei der Geburt des Neorealismus: "Da Cinecittà in Trümmern lag, mußte an realen Schauplätzen mit natürlichem Licht gedreht werden, falls man überhaupt das Glück hatte, an Filmmaterial zu kommen. Ein Neorealist war im Grunde jeder praktisch denkende Mensch, der arbeiten wollte."

Ein Zufall spielte auch im Liebesleben von Rossellini eine wichtige Rolle. Er erhielt - dafür hatte ein Brand im Filmstudio gesorgt, der die Ankunft der Post verzögerte - den berühmten Brief aus Amerika ausgerechnet an seinem Geburtstag, am 8. Mai 1948:

"Lieber Herr Rossellini, ich sah Ihre Filme Rom, offene Stadt und Paisà, und sie gefielen mir sehr. Wenn Sie eine schwedische Schauspielerin gebrauchen können, die sehr gut Englisch spricht, die ihr Deutsch nicht vergessen hat, aber im Französischen nicht besonders gut zu verstehen ist und die auf Italienisch nur "Ti amo" sagen kann, dann bin ich bereit, zu kommen und einen Film mit Ihnen zu drehen. Ingrid Bergmann"

Fünf Filme und drei Kinder

Was folgt, ist ein Teller Spaghetti, den Anna Magnani - damals seine Lebensgefährtin - über Rossellinis Haupt stülpt. Trotzdem wird der Regisseur, der Laiendarsteller bevorzugt, die Diva aus Hollywood heiraten. Fünf Filme resultieren aus der Verbindung und drei Kinder. Sieben Jahre hielt die Ehe, bevor sie - auf Wunsch Rossellinis - einvernehmlich geschieden wurde. Natürlich kommt bei Isabella Rossellini in dieser Causa auch ihre Mutter zu Wort. Das sorgt für Spannung. Aber auch für jene Ausgewogenheit, die beispielhaft in folgendem Zitat zum Ausdruck kommt: "Meine Eltern stehen beide in so gut wie jedem Lexikon. Wenn ein Beitrag über meinen Vater die Ehe mit meiner Mutter herausstellt, muß es eine amerikanische Ausgabe sein. Wenn die Betonung auf seinem revolutionären und innovativen Werk als Filmemacher liegt, ist es ein europäisches Lexikon. In chinesischen Ausgaben wird meine Mutter überhaupt nicht erwähnt, das ist die kommunistische Version."

Dem Vorwurf der Einseitigkeit, etwa weil die Zeit vor der Entstehung von Rom, offene Stadt - als Rossellini mit dem Sohn Mussolinis befreundet war und patriotische Filme drehte - nicht erwähnt wird, entzieht sich Isabella Ros- sellini übrigens, indem sie sich eines eigenen künstlerischen Urteils über ihren Vater enthält: "Ich weiß nicht, ob du ein Genie oder ein Spinner warst, Dad. Aber ich liebe dich." Damit trifft sie einen Ton, der nur Zynikern - also jenen, gegen die ihr Vater kämpfte - nicht gefällt. Auch darum sind diese Erinnerungen an Roberto Rossellini so erfreulich und erfrischend. (Peter Jungwirth/DER STANDARD, Printausgabe 29./30.07/2006)

Isabella Rossellini: "Im Namen des Vaters, der Tochter und der heiligen Geister - Erinnerungen an Roberto Rossellini". Aus dem Englischen und Italienischen übersetzt von Marion Kagerer, Carina von Enzenberg, Marianne Schneider und Viktoria von Schirach Euro 25,50/144 Seiten ISBN: 386555024X Schirmer-Graf, Passau 2006.