Durch eine best möglich vorbereitete Evakuierung des Kinderdorfs soll eine Traumatisierung der Kinder verhindert werden.

Foto: SOS Kinderdorf
Fünfzehn Kinder und vier SOS Kinderdorf-Mütter halten sich noch im SOS Kinderdorf im Bekaa-Tal auf. Das Gebiet befindet sich mitten in der südlibanesischen Kampfzone, zehn Kilometer nördlich der Stadt Zahle. Die geplante Evakuierung durch österreichische Cobra-Beamte wurde verschoben. Einige Kinder waren außerhalb des Kinderdorfs, die Leitung wollte ihnen den Schock ersparen, ein verschlossenes Haus vorzufinden. derStandard.at erreichte Sebastian Corti, Regionalleiter von SOS Kinderdorf im Nahen Osten, in Kairo.

derStandard.at: Wieviele Kinder befinden sich noch im Dorf?

Corti: Derzeit 15 Kinder und vier SOS Kinderdorf-Mütter. Fünf Kinder befinden sich ausserhalb des Dorfes, drei davon mit unbekanntem Aufenthaltsort und zwei in Beirut bei Verwandten. Der Dorfleiter verreiste wenige Stunden vor den Angriffen in den Urlaub ins Ausland und wird am Samstag zurück erwartet (es war ihm unmöglich, vorher einen Transport zu organisieren). Weitere 15 Kinder werden in den Tagen nach seiner Rückkehr neu aufgenommen. Dieses Dorf wurde erst im Mai dieses Jahres eröffnet und ist deshalb weniger voll als üblich. Die Gesamtkapazität beträgt 72 Kinder. Wir erwarten, dass die Kapazität bis Ende des Jahres oder im Lauf des nächsten Jahres erreicht wird.

derStandard.at: Wie alt sind die Kinder?

Corti: Die meisten sind Kleinkinder und Babies.

derStandard.at: Wann wird ein neuer Evakuierungsversuch unternommen werden?

Corti: Am kommenden Wochenende, nach Rückkehr des Dorfleiters, wird entschieden, ob und wann eine Evakuierung vorgenommen wird.

derStandard.at: Wo werden die Kinder hingebracht?

Corti: In ein anderes SOS Kinderdorf im Libanon, das derzeit noch sicher ist, in den Bergen.

derStandard.at: Haben einige der Kindern noch Familien im Libanon?

Corti: Ja, viele sind sogenannte "Sozialwaisen". Wir versuchen, den Kontakt mit der biologischen Familie soweit wie möglich aufrecht zu erhalten. Während der Ferien verbringen viele Kinder zumindest einen Teil der Zeit bei nahen Verwandten.

derStandard.at: Wie lange sind die SOS Kinderdörfer schon im Libanon aktiv?

Corti: Seit 1964. Die Arbeit von SOS Libanon ist seit Jahrzehnten vorbildhaft und wird ausschliesslich von gut qualifizierten Libanesen geleistet, die sich vollinhaltlich mit der Arbeit von SOS Kinderdorf identifizieren. Die Zusammenarbeit mit SOS Kinderdorf International ist hervorragend.

derStandard.at: Wie ist die Lage der SOS Kinderdörfer im Libanon, auch abseits des Krieges?

Corti: SOS Kinderdorf ist im Libanon sehr bekannt und hat ausgezeichnete Akzeptanz in der Bevölkerung. Aus diesem Grund unterhalten wir auch soviele Einrichtungen: Vier Kinderdörfer, sieben Jugendhäuser, drei Kindergärten, zwei Sozialzentren und ein nationales Koordinationsbüro. Bisher hat die libanesische Bevölkerung auch viel zur Finanzierung der Kinderdörfer beigetragen, die als libanesisches, nicht ausländisches Projekt gesehen werden (was durchaus in unserem Sinn ist). Wir erwarten, dass ein Grossteil dieser Beiträge auf Jahre hinaus ausfallen wird, weil die Bevölkerung das Geld dringend selbst für den Wiederaufbau brauchen wird. Deshalb sind wir sehr stark auf die Solidarität von Europäern – Österreichern und anderen – angewiesen, um diesen Ausfall wettzumachen und unsere Arbeit weiterführen zu können.

derStandard.at: Wie sieht die Arbeit der Mitarbeiter der Kinderdörfer im Libanon aus?

Corti: Es gibt einerseits richtige Waisen, aber auch weggelegte Kinder, die aus unhehelichen Beziehungen stammen, sowie Sozialwaisen, deren Eltern gewalttätig und/oder psychisch nicht in der Lage sind, sich um eigene Kinder zu kümmern. Wir helfen sowohl Kindern, die keine Eltern mehr haben und geben ihnen eine neue Familie und Zukunft, wir arbeiten aber auch im Rahmen eines Familienstärkungsgprogramms daran, dass Kinder bei ihren Eltern bleiben können und nicht weggegeben werden. In diesem Projekt unterstützen wir die Familien kurzfristig durch verschiedene Massnahmen und führen sie mittelfristig wieder in die Selbständigkeit. Dieses Programm wird seit Jahren mit grossem Erfolg durchgeführt und hat es vielen Kindern erlaubt, bei ihren leiblichen Eltern aufzuwachsen. (Die Fragen stellte Julia Schilly)