Martin Kusej: Der 45 Jahre alte gelernte Handballer, Spross von Lehrereltern aus einem gemischtsprachigen Kärntner Gebiet, konstatierte im Hörfunk die "Totallähmung" unseres Gemeinwesens.

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Regisseur Martin Kusej Absage an ein seit Langem für 2007 abgesprochenes Opernprojekt im Theater an der Wien mag man mit dem Hinweis auf verletzte Eitelkeit abtun. Denn ehe Matthias Hartmann zum Burgtheaterdirektor designiert wurde, hatte tatsächlich kein kulturpolitischer Machthaber mit Kuaej das Gespräch gesucht. Dergleichen kann man, ungeachtet einschlägiger Personalvorlieben vonseiten des Kunststaatssekretärs, immerhin als fahrlässig bezeichnen.

Der Kärntner, dessen Inszenierung von Nestroys Höllenangstgestern das Komödienglöcklein der Salzburger Festspiele einläutete, hat aber zugleich auch der Repräsentationssucht der Republik ein böse raschelndes Zeugnis ausgestellt. Der 45 Jahre alte gelernte Handballer, Spross von Lehrereltern aus einem gemischtsprachigen Kärntner Gebiet, konstatierte im Hörfunk die "Totallähmung" unseres Gemeinwesens. In der Tat stechen dessen Selbstdarstellungsvorlieben im Europamaßstab auffällig ab von der lustlosen Verwaltung des politischen Alltagslebens.

Man muss Kusejs Regie- und Theaterarbeit vielleicht schon bald über zwei Jahrzehnte verfolgt haben, um seinen stets etwas holzgeschnitzten Widerstandsgeist als das zu würdigen, was er seinem Wesen nach ist: eine mit Theatermitteln betriebene Bestandsaufnahme jener Gesinnungsreste und Untatbestände, die unbedenklich mitgeschleppt werden in den ideellen Friedenspool, der die Identität der EU-Gesellschaft irgendwann stiften helfen soll. Unvergessen sein Victory-Zeichen, als er 1993 auf die Bühne des Klagenfurter Landestheaters schritt, kaugummikauend, mit der Lederjacke scheppernd: Empörte Premierenbesucher, darunter viele Angeheiterte, hatten sich kurz vorher anheischig gemacht, seine in der Tat vor Ingrimm rot glühende Inszenierung von Kabale und Liebezu stürmen.

Dabei ist Kusej, längst auch ein stilsicherer Opernregisseur, ein ruhiger Mensch: mit sarkastischem Witz begabt, gegenüber gutem Essen durchwegs aufgeschlossen. Er kaufte sich, als er über die Umwege von Stuttgart und Hamburg die deutschsprachige Theaterlandschaft aufgerollt hatte mit schmerzlichen, versöhnungsunwilligen Inszenierungen voll insistierenden Mitgefühls mit allen Mühseligen und Beladenen, das alte Pfarrhaus in Maria Saal. So lässt es sich in Nähe des Herzogstuhls trefflich hadern mit den heimischen Ungeistern, die der Salzburger Schauspielchef und Vater eines Sohnes vor den kongenialen Bühnenbildern von Martin Zehetgruber zu exorzieren pflegt.

Nun plant er, sich nach 2006 eine "Auszeit" zu nehmen. Er will Opernpläne vertiefen und nicht mehr in jener Burg arbeiten, für die er "Vorstellungen" gehabt hätte - wenn man ihn denn gefragt hätte. Keine versöhnlichen, wie man mutmaßen darf. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 24.7.2006)