Salzburg - Im Großen und Ganzen war der erste Teil des Symposions "Die Festspiele - Visionen, Wünsche, Wirklichkeit", mit dem die Salzburger Festspiele am Samstag die intellektuelle Reflexion einer herausragenden Persönlichkeit im Rahmen einer Festspielrede ersetzen wollten, beschaulich und harmlos. Einzig Mitridate-Regisseur Günter Krämer bedauerte den aus Zeitmangel fehlenden Kontakt zu anderen Künstlern und erwähnte seinen Salzburg-bedingten Hexenschuss. Doch die Komponistin Olga Neuwirth hat die verbale Langatmigkeit über Metronom-Angaben oder Orchesterdisposition (Daniel Barenboim) mit ihrer radikalen Reflexion über das Verhältnis dieser Festspiele zum Neuen und Gewagten herb auf den Kopf gestellt.

Die Festspiele wollten sich "Im Spiegel des Künstlers" sehen (Titel des ersten Symposion-Teils, Anm.), und Neuwirth hat ihn vorgehalten. Nicht ohne auf das Absurde "oder vielleicht sogar Zynische" dieses Anliegens aufmerksam zu machen: "Ich soll hier über Visionen reden, die letzten Endes ohnehin nicht realisiert werden dürfen, da die künstlerische Freiheit von vorne herein beschnitten wird. ... Man bittet (den Künstler) zwar um ausgesuchte, wohldosierte Kleinst-Irritation, die aber sofort wieder glatt gebügelt werden müssen. Wirklich artikulierte Visionen sind nur Geistes- und Kraftverlust, denn sie würden wieder nur für hohle Theorien, Pseudo-Freiheits- und Toleranzideen hergenommen aber bestimmt nicht realisiert werden."

Für Neuwirth ist der "erst-schaffende Künstler" nicht mehr als ein "auswechselbares Stück Fleisch", das man hernimmt und - weil unökonomisch - wieder wegstellt. "Man darf, so wie ich jetzt hier, wo es um nichts geht, sogar Provokantes andeuten, aber es hat keine Relevanz. ... Im Musikland Österreich ist der Komponist ja nicht einmal Teil der für alle anderen Kultursparten geltenden Sozialversicherung", so die Komponistin, die eigentlich für heuer die Oper "Der Fall W." nach einem Libretto von Elfriede Jelinek für Salzburg hätte komponieren sollen. "Ein Projekt, das aus Geldmangel, wie es angesichts des Mozart-Marathons in diesem Jahr abstruserweise hieß, wieder entsorgt wurde", so Neuwirth.

Neuwirth beharrte auf einer Unterscheidung von erst-schaffenden und nach-schaffenden Künstlern. "Nach-schaffende Künstler bedeuten in ihrer quasi-sportlichen Messbarkeit zumindest einen Wirtschaftsfaktor, und das ist auch in den exorbitanten Honorar-Unterschieden deutlich sichtbar. ... Die klassische Musikwelt ist die konservativste alle Kunstsparten. Die großen Festivals, die eigentlich der Ort für Aufführungen jenseits der reinen Tradition sein könnten, sollten zumindest ein neues Musiktheater pro Jahr realisieren, weil die Musikgeschichte schließlich nicht stehen bleiben kann. Oder man möge endlich ohne Lügengeflechte und fatale Eloquenz zugeben, dass auch Festivals nur noch Klang-Museen darstellen." (APA)