Erich von Stroheims „The Merry Widow“ – ein Film-Highlight im „Magazin des Glücks“.

Foto: Filmmuseum
Vor 630 Millionen Jahren war die Erde ein eisverkrusteter Ball, Snowball-Earth. Kein Ort für Lebewesen. In den Lücken des Eises hatten sich unsere Vorfahren für Millionen Jahre zur Verteidigung eingerichtet, Lebenskraft gestaut. Jetzt löste sich der Bann, der Planet erwärmte sich. Die Lebewesen breiteten sich über den Erdball aus, zu Wasser, zu Lande. Dies war die erste Globalisierung.

Von diesem Glücksfall tragen wir einen Hoffnungsvorrat in uns, in den Knochen, den Augen, den Ohren, in unserem Gehirn, auf der Haut, in jeder Regung. Von diesem Vorrat zehren wir in den Zeiten des Fortschritts und der Abstiege. Keine Enttäuschung braucht diesen Vorrat völlig auf. Wie ein Phönix entsteht er bei jeder Neugeburt, fast ungeschmälert, stets derselbe glücksfähige Typ. Wir leben, darauf beruht der Anti-Realismus des Gefühls, in mehr als einer Welt, wir leben in Parallelwelten." – Der deutsche Schriftsteller, Film- und TV-Macher Alexander Kluge im Vorwort zu seinem neuen, 350 Geschichten umfassenden Buch Tür an Tür mit einem anderen Leben.

"Magazin des Glücks. Salon zur Erforschung der Grundlagen des Komischen" ist der Titel einer Veranstaltungsreihe der Salzburger Festspiele, die das Thema des diesjährigen Schauspielprogramms – Komödie! – spiegeln und in ein irisierendes Licht setzen will. Das "Magazin des Glücks" ist gedacht als ein Speicher von Glücksmöglichkeiten auf Vorrat, ein Depot großer erfüllter Momente und kleiner utopischer Lichtblicke. Ein solcher Speicher ist die Literatur, der Film, das Theater. In den Geschichten, die schon lange erzählt, wie in denen, die neu erfunden werden, sind solche Möglichkeiten aufbewahrt.

Siehe das ausufernde Werk von Alexander Kluge. "Wer meine Erzählungen liest, wird nicht annehmen, dass ich an Untergangsszenarien glaube", schreibt er in seiner monumentalen und zugleich leichtfüßigen Prosa-Sammlung Die Lücke, die der Teufel lässt. In seinen Texten wie in seinen Gesprächen für die von ihm produzierten "unabhängigen Kultursendungen" von dctp lotet Kluge aus, was das heute bedeuten kann: sich zu orientieren, rettendes Unterscheidungsvermögen zu entwickeln – wo sich die Umstände sehr oft gegen jeden glücklichen Ausgang verschworen zu haben scheinen. Sein Werk ist voll von Lebensläufen, Basisgeschichten, Lernprozessen mit mehr oder weniger glücklichem Ausgang, an denen ermessen werden kann, wie schwierig das im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert ist – von Stalingrad bis Bagdad oder von Anna Karenina bis Maria Callas "die Lücken zu finden, in denen sich das Leben bewegt". In Kluges Chronik der Gefühle, in der Lücke, die der Teufel lässt und auch (ab September im Buchhandel) in Tür an Tür mit einem anderen Leben zeitigt diese Suche mitunter hochkomische Szenarien – Katastrophenforschung in der Tradition der Marx Brothers. Glückliche Umstände, leihweise. Oder: Blechernes Glück.

Der Optimismus, der in den historischen Anordnungen und der schwachen Hoffnung auf rückwirkende Erlösung ihrer Opfer immer spürbar bleibt, ist dem Optimismus, ohne den Komödie nicht denkbar ist, nahe verwandt. Es ist wahrscheinlich der "Anti-Realismus des Gefühls", der sich auf Dauer nicht mit dem endlosen Fortbestand des Unglücks abfinden mag und nach anderen Lösungen sucht – mögen sie für den Augenblick auch gefährlich instabil wirken. Immer noch besser als die unausgesetzte Wiederholung der schlechten alten Ausweglosigkeit.

Vielleicht war es ein ähnlicher Optimismus, der es auch Ödön von Horváth ermöglichte, einer Reihe von Entwürfen zu einer großen Revue für Max Reinhardt, die am Rande des historischen Abgrunds zu Silvester 1932 in Berlin mit Musik von Friedrich Hollaender und Zarah Leander in einer Hauptrolle Premiere haben sollte, den Titel Magazin des Glücks zu geben. Horváths Liebesgeschichte jagt das Glück durch einen großen Vergnügungspalast, in dem jeder Saal eine andere exotische Weltgegend darstellt, einen riesigen globalen Themenpark, eine Parallelwelt, die nur Aussicht hat, von der Investorin aufrechterhalten zu werden, wenn sie sich als rentabler erweist als ein ebenfalls recht profitabel erscheinender "kleiner" Krieg. Wäre sie je zustande gekommen, Horváth hätte dieser Geschichte ein glückliches Ende (in der Abteilung "Nordpol"!) erfunden, während er vom Nebentisch bereits ungestraft als "Saujud" beschimpft wurde.

Im zweiten Strang der Reihe werden unter dem Signet Satyrspiele und Höllenstürze groteske, witzige, verstiegene und derbe Szenen, Texte und Pamphlete deutschsprachiger Gegenwarts- autoren vorgestellt. Mit Sibylle Berg, Kathrin Röggla, Lukas Bärfuss, Dimitré Dinev, Werner Fritsch, Arno Geiger, Thomas Jonigk, Daniel Kehlmann, Albert Ostermaier und Roland Schimmelpfennig sind wichtige Vertreter einer Generation aufgeboten, die der legendären Humorlosigkeit deutschsprachiger Literatur entgegentritt, ohne sich schenkelklopfender Witzigkeit und biedersinniger "Unkorrektheit" anzudienen. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.7.2006)