Zur Person
Heinrich Treichl (93) stammt aus großbügerlicher Familie und hat fast zeit seines Lebens für Banken gearbeitet; mit 17 etwa als "Praktikant und Anstreicher der Reichsbank-Mauer". 1958 kam Treichl in die staatliche Creditanstalt, 1962 in den Vorstand, 1970 bis 1981 war er Generaldirektor. Er öffnete die CA dem Massen- und Auslandsgeschäft; sein Nachfolger war Hannes Androsch.

Legendär wurde der Vater des heutigen Erste-Chefs ob seiner Strenge, seiner pointierten Weltsicht - und gepflegten Streitigkeiten mit Bruno Kreisky. Wer ihn heute besucht, stört ihn beim Italienisch-Studium, Schreiben oder beim Yoga-Kopfstand.

Foto: STANDARD/Regine Hendrich
Wie er mit Beamtenadel und weißen Kragen die Branche bewegt hat, erzählte er Renate Graber.

***

STANDARD: Sie gelten ob Ihres Alters und Rufes als Langzeitgeneraldirektor der Creditanstalt als Doyen der österreichischen Bankbranche. Hätte es den Bawag-Skandal in Ihrer Zeit geben können?

Treichl: Zidane hat die Bawag eine Weile verdrängt, das fand ich sehr angenehm. Ich habe geglaubt, Pleite zu gehen sei ein Privileg kapitalistischer Einrichtungen, aber wie man sieht, können das die Sozialisten auch. Aber natürlich hätte so etwas früher auch passieren können, die CA war 1931 auch in großen Schwierigkeiten. Die eigentlichen Ursachen der Bawag-Krise sind das Versagen der sozialistischen Subkultur und eine menschliche Aufsteigertragödie.

STANDARD: Die von Bawag-Exchef Elsner oder die seines Vorgängers, Walter Flöttl?

Treichl: Walter Flöttl war pflichtbewusst, ein bisschen schlau und hat seine Bank gut geführt. Von seiner Herkunft her kam er aus der so genannten Arbeiterklasse. Sie würden das Urgestein der Arbeiterbewegung nennen, ich verwende das Wort nicht.

STANDARD: Wie sagen Sie?

Treichl: Mutterboden. Jedenfalls kommt dann sein Sohn Wolfgang, ein junger Bursch, der ausbrechen und den gesellschaftlichen Aufstieg will. Seine Begierde wurde so groß, dass die wenigen Sicherungen, die es bei ihm gab, durchbrannten. Und der Vater war so stolz auf ihn, dass er sogar Geschäfte mit ihm gemacht hat, was unbegreiflich ist. Der junge Flöttl hat eine Eisenhower-Enkelin geheiratet, na bitte – und mir haben sie immer vorgehalten, dass ich Adelige in die CA geholt habe.

STANDARD: Es war halt so.

Treichl: Das sind vielleicht Ihre Vorstellungen. Ich habe, so wie Kreisky, vor allem für die Auslandsbeziehungen junge Leute mit gewissen angeborenen und anerzogenen Verhaltensweisen gesucht, die man häufig in den von Kaiser Franz Josef geadelten Beamten-, Offiziers- und Industriefamilien antrifft. Zum alten Adel gehören die nicht, da musste man 16 christliche Ahnen haben; die waren alle miteinander verwandt. Sie repräsentierten einen Typ, den ich bei meiner Personalpolitik nicht favorisiert habe. Einer meiner Sekretäre war Sohn eines kleinen Eisenbahners, einer ein Graf.

STANDARD: Dieses Verhalten, an das Sie denken, kam den Bawag-Chefs abhanden.

Treichl: Die hatten das nie. Der soziale Ehrgeiz wurde zu groß und die sozialdemokratische Subkultur ist gescheitert. Die österreichischen Sozialisten haben das Bürgerliche so stark abgelehnt, dass sie alles neu erschaffen mussten. Den ARBÖ zum ÖAMTC, den Konsum, nicht einmal das Rote Kreuz akzeptierte man, es musste der Arbeitersamariterbund her.

STANDARD: Sie haben Exfinanzminster Androsch, Ihren Nachfolger in der CA, "Parvenu" genannt. Was ist Elsner?

Treichl: Ein gezierter Poseur. Eher lächerlich, hat sich der Égalité der Gutangezogenen verschrieben.

STANDARD: Als Bawag-Chef haben ihn alle ernst genommen.

Treichl: Weil sie keine Ahnung hatten. Der ÖGB war stolz, sagte sich: Welch eleganten Burschen haben wir da produziert. Eigentlich rührend. Und dazu kam noch die typisch kommunistische Entlohnung in Sachbezügen ...

STANDARD: ... in Dachbezügen.

Treichl: Genau, die Datscha auf dem Dach. Die Ursache allen Übels war der Stolz: "Wir Roten machen auch das Bankgeschäft besser als ihr."

STANDARD: Sehen Sie das nicht extrem einseitig?

Treichl: Das gebe ich zu, ich inkliniere dazu, alles auf den Gegensatz Sozialismus – Kapitalismus zurückzuführen. Ich bin immer mehr der Überzeugung, dass der Kapitalismus die einzig richtige Form der Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung ist.

STANDARD: Sie sind fast radikal liberal. Wo gibt es in Ihren Augen Grenzen?

Treichl: Es muss einen ethischen Ordnungsrahmen geben, aber nicht durch Gegenwelten, wie sie die Sozialdemokratie schaffen wollte, sondern durch Stärkung der demokratischen Kräfte, zum Beispiel auch der der Aktionäre.

STANDARD: Sie saßen in der damals staatlichen CA im Vorstand neben Sozialisten. Man erzählt, Sie hätten "Roten" unterstellt, nicht mit Messer und Gabel essen zu können.

Treichl: Gar nicht wahr. Ich hatte ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu meinem Stellvertreter, Hans Holzer. Er war Obmann der SPÖ Simmering, also Kerngruppe. Er hat mich oft von meinen Exzessen zurückgehalten: Wollte ich einen bösen Brief schreiben, sagte er: "Heinrich, tu das nicht. A Schriftl is a Giftl." Androsch hat ihn viel zu früh gehen lassen, über ihn hat Holzer gesagt: "Hart im Geben." Denn Androsch war angerührt wie eine Mimose.

STANDARD: Aus Androsch wurde ein angesehener Industrieller. Erkennen Sie ihn heute an?

Treichl: Sicher seine außerordentlichen Fähigkeiten. Aber ich weiß zu wenig über ihn. Wenn jemand sehr rasch sehr reich wird, muss man drei Fragen stellen: Wie ist sein Reichtum entstanden, was macht er damit, und wie verhält er sich zu Leuten, die nicht reich sind? Ich kann bei Androsch die erste Frage nicht beantworten, das müsste er tun. Die anderen Antworten fallen positiv aus: Androsch hat eine ganze Menge guter Sachen gemacht.

STANDARD: Wie ist das bei Ihnen? Sie sind ja auch reich.

Treichl: Nicht die Spur! Der CA-Vorstand war zu meiner Zeit im internationalen Vergleich ganz schlecht bezahlt; fünf, sechs Millionen Schilling in der besten Zeit. Meine Söhne lachen doch über mich.

STANDARD: Ihr Sohn Andreas, Erste-Bank-Chef, hat 2004 rund 4,5 Millionen Euro verdient. Ihr Sohn Michael, Investor, lebt auf einem Schloss in Großbritannien. Sind sie nach Ihrem Maßstab reich?

Treichl: Michael ist vermögend; Andreas hat ein sehr hohes Einkommen. Angesichts seiner Leistung sicher angemessen und durchaus im internationalen Rahmen.

STANDARD: Im Oktober wird gewählt. Ist die SPÖ wegen der Bawag nachhaltig beschädigt, gewinnt die ÖVP haushoch? Sie selbst waren letztes Mal ja für Schwarz-Grün.

Treichl: Ich hoffe, dass die ÖVP überlegen siegen wird, aber mittelfristig wird sicher wieder die Umverteilung-Sozialdemokratie erstarken. Und mir wäre Schwarz-Grün lieber als Schwarz-Rot. Die Grünen sind die intelligenteste Partei, jedenfalls nicht mit alten Denktraditionen belastet.

STANDARD: Sie haben Schüssel 1998 vorgehalten, er sei "nicht frei vom typisch österreichischen Missverhältnis zu den Banken". Immer noch?

Treichl: Schüssel ist außergewöhnlich intelligent und lernfähig. Aber in einem erzkatholischen Land wie Österreich lebt die kritische Einstellung gegenüber den biblischen Zöllnern und Wucherern fort.

STANDARD: Die Bawag-Rettung hat Schüssel gut gemacht?

Treichl: Ja, bestmöglich.

STANDARD: Wer wäre der ideale Käufer für die Bank?

Treichl: Ich fände einen Ausländer gut – brächte frisches Blut.

STANDARD: Blutet Ihnen angesichts BA-CA-Verkaufs an Italien noch das Herz? Sie erwähnen die Bank gar nicht mehr.

Treichl: Natürlich blutet es. Der Verkauf war eine Dummheit, die Androsch nie begangen hätte. Ich habe keine Ahnung, was die BA-CA macht und sogar vergessen, wie dieser Generaldirektor hieß; der, der die CA gekauft und diesen Bayern verkauft hat.

STANDARD: Gerhard Randa. Das haben Sie aber nicht vergessen, sondern verdrängt.

Treichl: Das kann sein.

STANDARD: Wird die Gewerkschaft das Bawag-Debakel überleben? Sie selbst sollen ja, als erstmals Betriebsräte in den Aufsichtsrat kamen, Französisch gesprochen haben, damit die nichts verstehen.

Treichl: So dumm bin ich nicht. Betriebsräte waren seit den 20ern im Aufsichtsrat, und das ist gut so. Als KV-Verhandler ist der ÖGB wahrscheinlich notwendig, aber was soll die Gewerkschaftsbewegung noch? Sie hat alles erreicht, wahrscheinlich viel mehr, als sie halten kann. Eine gescheite Gewerkschaft müsste den geordneten Rückzug antreten und in Richtung Schutz für die ausgebeuteten Konsumenten gehen. Die natürliche Gegenposition der Unternehmer ist nicht der Arbeitnehmer, sondern der Konsument. Und der ÖGB soll sich keine Unternehmen halten.

STANDARD: Weil er ein schlechter Aktionär ist, unfähige Aufsichtsräte entsandt hat? Nicht einmal die Aufsicht hat etwas bemerkt.

Treichl: Was soll der arme Aufsichtsrat tun? Er ist bei wirklich wichtigen Entscheidungen doch fast immer völlig von den Informationen, die ihm der Vorstand gibt, abhängig. Und in der Aufsicht habe ich, bis auf eine Ausnahme, wirklich nur ausgesucht ungeeignete Leute erlebt.

STANDARD: Mit Verlaub, das klingt etwas hochnäsig. Sie sind verwöhnt, wurden, als Sie vor drei Jahren Ihren 90er feierten und Ihre Memoiren veröffentlichten, zur "lebenden Legende" stilisiert. Ihren Schreibtisch haben Sie vor 25 Jahren geräumt. Haben es die heutigen Banker nicht schwerer?

Treichl: Das glauben die heutigen Banker, auch mein Sohn Andreas. Ich nicht. Die meisten Schwierigkeiten und Einschränkungen damals hingen mit der Verstaatlichung und politischem Einfluss zusammen. Ich habe mein Ziel ja nicht erreicht, ich wollte eine von Kleinaktionären bestimmte Bank haben.

STANDARD: Ihrer Familie gehörte das von den Nazis enteignete Bankhaus Thorsch. Die Lizenz wurde nie zurückgegeben. Macht Sie das traurig?

Treichl: Nein, aber ich atme auf, dass die Regierung endlich Restitutionsgesetze erlassen hat. Ich freue mich für die Bloch-Bauers. Mit Mariechen, das Klimts Adele zurückbekommen hat, habe ich als Kind Tanzstunden gehabt, private.

STANDARD: Zurück zur heutigen Bankenlandschaft. Sie haben die Sparkassen "kleinbürgerlich" genannt, sie hätten "nur historische Bedeutung". Sehen Sie das immer noch so?

Treichl: Nein. Die großen Sparkassen haben sich in Banken verwandelt, die Z ist in der Bank Austria verschwunden, die Erste Bank zu einer AG und etwas völlig Neuem geworden. Sie ist sicher noch nicht am Ende ihrer Entwicklung angelangt, meinem Sohn Andreas traue ich noch einiges zu.

STANDARD: Er legt beruflich auf strikte Abgrenzung zu Ihnen Wert und würde diese Frage hassen: Sind Sie stolz auf ihn?

Treichl: Sicher, sehr! Ich fühle mich meinen Söhnen zwar intellektuell nicht unterlegen; aber ihre Art, mit Menschen freundlich umzugehen, haben Sie von Ihrer Mutter.

STANDARD: Sie waren ja so streng, auch in der Bank.

Treichl: Ja. Einmal habe ich mich über jemanden lustig gemacht und das meiner Frau erzählt. Ich musste mich entschuldigen.

STANDARD: Sie haben sogar Kleidervorschriften erlassen und die Banker-Mode bestimmt, mit Hemdkragen ...

Treichl: Sie haben es mir nur nachgemacht: weiße Kragen zu blauen und rosa Hemden. Wo ich mich wirklich auskenne, ist Anziehen. Wieso, fragen Sie? Weil ich eitel bin. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.7.2006)