Pressefoto: Gerry Frank
Amstetten – Die kubanische Carmen singt im Jahr 1994 in einer Bar in Santiago de Cuba und will weg. Das Fluchtboot kentert aber und statt in Miami Karriere zu machen, wird sie von amerikanischen Soldaten in ein Gefangenenlager in, genau, Guantánamo Bay verfrachtet. Dort beißt sie einer anderen Gefangenen ein Loch in die Wange. Joe ist ihr Wächter, will seine Jugendliebe heiraten und eine Pilotenausbildung machen. Stattdessen verhilft er Carmen zur Flucht, wird verhaftet und degradiert.

Carmen Cubana, Kim Duddys neue Inszenierung für den Musicalsommer Amstetten, wandelt Bizets Erfolgsoper in eine Pop-Oper um, die die Anfangszeit des Stützpunktes Guantánamo und die Methode, Menschen in der Basis festzuhalten, thematisieren soll. Dabei wird gezeigt, wie einfach die Dinge sein können. Die Amerikaner sind dumm, böse und ergötzen sich gerne am Leid der anderen – in diesem Fall dem der Kubaner, die trotzdem viel Spaß dabei haben, Salsa zu tanzen und Cuba Libre zu trinken. Gruselig ...

Die Musik stammt von Martin Gellner und Werner Stranka, die schon bei mehreren Produktionen mit Kim Duddy zusammengearbeitet haben. Bizets Carmen-Hits werden als Zitate in R&B-Klänge und Latin-Popsongs gestreut.

Carmen (Lana Gordon) ist ein (etwas einseitig) eiskaltes Mädchen ohne Moral, ohne Mitgefühl, das Schwäche und Empfindlichkeit nicht nur nicht zeigt, sondern offenbar wirklich nicht hat. Ihren Charakter ins Heute zu übertragen, bedeutet wohl, ihn auf uneingeschränkte Zielstrebigkeit und Kaltblütigkeit zu reduzieren. Wirklich wichtig sind Glamour und teure Klamotten. Escamillo (Ruben Heerenveen) ist in Carmen Cubana denn auch kein Stierkämpfer mehr, sondern erfolgreichster kubanischer Popstar, der mit Boy-Group-Anhängsel sogar in den USA auf Tournee geht und sich in Carmen verliebt.

Kim Duddys Versprechen, den Geist von Bizet und Mérimée zu erhalten, hält nicht – Duddy, von der Regie, Buch und Choreografie stammen, zeigt eine hochdramatische Seifenoper moderner Möchtegerns, die hin und wieder schon auch nett sein können (Escamillo). Meistens aber fleißig am Wachstum ihres Egos arbeiten. Übrig bleibt am Schluss lediglich der Soldat Joe (Gino Emnes), der, als Pfadfinder verspottet, seine Carmen tatsächlich auf einem weißen Pferd über den Atlantik befördern würde.

Das Konzept plakativer Überzeichnung ist dann erstaunlicherweise gar nicht mal so dumm. Ob gewollt oder nicht: Die ausgewalzten Klischees werden zur Nebensache, und haarscharf an öden gesellschaftlichen Moralpredigten vorbei schummelt sich die Produktion Carmen Cubana in den Status eines unterhaltsamen Musicals, das es mit Duddys Produktionen am Raimundtheater (Hair, Barbarella) durchaus aufnehmen kann. (Isabella Hager/DER STANDARD, Printausgabe, 21.7.2006)