Im Schatten eines Wirtschaftskrimis gedeiht ein Ehedrama: Isabelle Huppert als Untersuchungsrichterin Jeanne Charmant- Killman und Robin Renucci als deren Ehemann in Claude Chabrols "Geheime Staatsaffären".

Foto: Constantin
... mit einer souverän agierenden Isabelle Huppert.


Wien – Unter Topmanagern und ihren politischen Vertrauensleuten herrscht leichte Unruhe: Eine Untersuchungsrichterin hat einen der ihren verhaften lassen. Nun wird der Mann bezüglich angeblicher Vergütungen von Privatvergnügen aus der Geschäftskasse eines großen Konzerns verhört. Aber noch wähnt man sich aufseiten seiner Gewährsleute in Sicherheit. Schließlich verfügt man über sehr viel Geld und über noch wichtigere Kontakte, und wenn alles nicht hilft, kann man die Vertreterin der Justiz ja auch nach oben aus dem Fall befördern. Aber die Richterin ist zäh; und unnachgiebig. Und überdies beginnt sie ihrerseits, Gefallen an der (neuen) Macht zu finden.

"Geheime Staatsaffären"/"L’ivresse du pouvoir", der jüngste Film von Claude Chabrol, erinnert natürlich rein zufällig an den Wirtschafts- und Politskandal um den französischen Mineralölkonzern Elf Aqui-taine – auch damals ermittelte eine Richterin und eine Anekdote wie jene um den Beschuldigten, der angeblich seine SIM-Card verschluckte, um Beweise zu vernichten, lässt sich einer wie Chabrol natürlich nicht entgehen, selbst wenn er sie nur en passant erwähnt.

Insgesamt hält er sich wenig mit direkten Bezugnahmen oder Enthüllungen auf. Chabrol interessiert nicht ein konkreter Fall, sondern vielmehr (und immer noch) Milieus, deren Codices und deren Sprache, deren Binnenverhältnisse und ihre Repräsentation nach außen. In diesem Sinne sind die Interieurs oder die Garderobe ebenso Mitspieler wie die handelnden Personen, die untrennbar in Bezug zu ihrem Umfeld stehen. Im aktuellen Film hängt dieses Interesse am Sozialen – und seiner Affizierung durch die Macht – zwar lose am Spannungsbogen der Ermittlungsgeschichte, verdichtet sich aber tendenziell um einzelne Episoden oder in Momentaufnahmen.

Außerdem sollte spätestens an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass der Regisseur nicht ganz bierernst an die Sache herangeht – schließlich beschwört der Film im Originaltitel die "Machttrunkenheit" (und Betrunkene sind oft auch komisch); auf das Kommando "Hosen runter", das dem ersten Angeklagten gilt, folgt erst das Insert "ein Film von ...", und das ist nur eine von vielen Spielereien, die sich der inzwischen _76-jährige Nouvelle-Vague-Veteran hier erlaubt.

Geheime Staatsaffären vermittelt einen Eindruck größter Leichtigkeit. Chabrol nimmt sich einmal mehr die Freiheit, klassische Erzählökonomie oder auch handwerkliche Perfektion zu vernachlässigen. Stattdessen hat er seinen Spaß etwa an beziehungsvollen Namen. Jeanne Charmant-Killman heißt seine Hauptfigur. Den Charme im Namen verdankt die Richterin ihrer als unstandesgemäß erachteten Einheirat in eine großbürgerliche Familie. Ihr Killerinstinkt gilt so als doppelt ungehörig.

Spielernatur

Oder am Spiel mit Referenzen, die vom bürgerlichen Roman bis zum von Chabrol verehrten Werk Hitchcocks reichen. All das muss man bei Chabrol nicht lange suchen – so ostentativ ungeschickt wie Huppert ihren strahlend roten Lederhandschuh auf den Boden fallen lässt, nur um ihn gleich selbst wieder aufzuheben; so vergnügt (und lächerlich) wie hier honorige Herren Champagner trinken und Zigarren rauchen.

Isabelle Huppert bewegt sich zwischen diesen Männern und durch diesen Film wie ein drahtiger kleiner Fremdkörper, immer von einer Aura der Unnahbarkeit umhüllt, selbst wenn sie schweißgebadet nachts am Kühlschrank steht.

Chabrol entwickelt aus diesem Aspekt im Hintergrund des fragmentarischen Wirtschaftskrimis noch ein kleines Ehedrama. Die karrierebewusste Richterin entfernt sich im Verlaufe ihrer Ermittlungen zunehmend von ihrem Mann, einem melancholischen Wissenschafter, dessen Betätigungsfeld wie ein selbst gewähltes Exil fern der Machenschaften und Obligationen seiner Klasse wirkt.

Nicht zuletzt funktionieren Chabrol-Filme auch als Familienunternehmen: Seine Frau Aurore Paquiss fungiert immer noch als Script-Supervisor. Sein Sohn Matthieu hat die Musik geschrieben, sein Sohn Thomas eine Hauptrolle übernommen (bezeichnenderweise erspielt sich seine Figur buchstäblich ihre Unbhängigkeit von großbürgerlichen Zwängen). Mit Koautorin Odile Barski ist Chabrol ebenfalls schon Ende der 70er-Jahre zusammengetroffen.

Und zwar noch bevor er nach ihrem Drehbuch mit Isabelle Huppert Violette Nozière verfilmte. Damals schrieb Barski für eine TV-Serie mit Simone Signoret, Chabrol inszenierte eine Folge. Die Serie hieß Die Untersuchungsrichterin. Bei einem wie Chabrol wirkt selbst das wie eine überlegt gesetzte Pointe. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 21.7.2006)