Dass es um die geplante Plakatkampagne der Kinderschutzorganisation die möwe so viel Wirbel gibt, ist gut. Denn es zeigt prinzipiell, dass das Thema sexuelle Gewalt an Kindern vielen nicht (mehr) egal ist. Und das ist sicherlich auch ein Verdienst der möwe, die sich mittlerweile bereits seit 16 Jahren um Opfer kümmert. Aufgrund der unermüdlichen Charity-Aktionen von Präsidentin Martina Fasslabend ist die möwe eine der bekanntesten Hilfsorganisationen des Landes geworden.

Möglicherweise hat in letzter Zeit der Spendenzufluss nachgelassen. Das würde erklären, warum man bei der möwe nun auf Schockieren setzt, um eine möglichst breite Aufmerksamkeit zu erreichen. Schon allein der Name der geplanten Plakataktion, "Love-Doll", lässt jegliche Sensibilität vermissen. Das am Computer entworfene Sujet zeigt eine aufblasbare Sexpuppe mit kindlichen Zügen. Es soll zeigen, dass Gewalttäter Kinder nur als Sexspielzeug sehen, argumentieren die Initiatoren.

Aber warum macht es sich eine Opfer-Hilfsorganisation plötzlich zur Aufgabe, die Sicht der Täter zu beleuchten? Sollte sie nicht ihr Hauptaugenmerk auf Hilfe legen? Und wenn das schon die Sicht der Täter ist, kann dann nicht ein derartiges Plakat animierend für pädophil veranlagte Männer sein? Und was empfinden Opfer beim Anblick der Kindersexpuppe? Auf diese Fragen gibt es in der Fachwelt unterschiedliche Antworten.

Aber eines steht fest: Die Werbung hat in diesem Fall eine Grenze überschritten. Das nächste Mal wird vielleicht ein reales Tatortfoto eingesetzt, um einer Kampagne zum Durchbruch zu verhelfen. Dass das im kommerziellen Bereich bisher noch nicht vorgekommen ist, liegt wohl daran, dass dann der Werberat einschreiten würde. Aber der ist für Werbung im gemeinnützigen Bereich nicht zuständig. (Michael Simoner, DER STANDARD Printausgabe 20.7.2006)