Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war gestern. Da haben wir uns zunächst alle den Mund ausgespült. Und uns dann gewundert, dass uns das allen einmal geschmeckt hat. Oder haben soll. Aber das, meinte C. dann, sei ja auch in einer Zeit gewesen, in der uns Ikea-Möbel noch als revolutionär erschienen waren und der Geruch von Pressholz in der Kombination mit Abdrücken, die Inbusschlüssel in unseren Händen hinterließen, ein Gefühl von Aufbruch, Design und Modernität suggerierte. Also in der Steinzeit.

Aber in den Einladungen, mit denen das Möbelhaus zum Sommerfest bat, war eben das Sackerl mit Brausepulver dabei. Waldmeistergeschmack. Und damals, in der Möbelhaussteinzeit, war das noch etwas Besonderes. Oder zumindest nicht so ganz selbstverständlich. Und vielleicht, meinte C., während sie das fußballersammelbildgroße Papierbriefchen hin und her drehte, könne sie das Erstaunen, das jedes Mal, wenn sie mit glänzenden Augen und mit völlig unzeitgemäßen (und meist unpraktischen) Artefakten aus den 80er-Jahren daheim antanze, aus dem Gesicht ihrer Tochter spräche, einmal, vielleicht in 15 Jahren, mit diesem Satz erklären: "So verklärt wie du jetzt diesen iPod anschaust, geht es mir halt, wenn ich kratzige, enge adidas-Trainingsjacken sehe. Oder wenn ich Brauspulver in die Hände bekomme."

Prickel-frisch

Dann kam, was kommen musste: Wir gingen Brause trinken. Schließlich stand ja "sofort erhält man ein herrlich prickel-frisches Getränk" auf der Briefchenrückseite. Fünf oder sechs Mann (und Frauen) hoch standen wir in der Teeküche, drängelten uns um den Wasserhahn und ließen dann das Pulver in die Gläser rieseln. "Sollten wir nicht zuerst...?" fragte B – aber C. schüttelte entschieden den Kopf: "Nein, zuerst einmal nach Vorschrift – wir haben uns ja eh zwei Sackerln aufgehoben. Die können wir dann direkt auf die Zunge leeren." Das grünliche Pulver zischelte da schon im Wasser – und dann nahm jeder von uns einen ordentlichen, großen Schluck.

Keiner von uns brachte das Zeug runter. Es schmeckte grauenhaft. Fad und stechend zugleich. Nach Chemie, Abflussrohr und Moder. Künstlich. Fast gefährlich. Wir spuckten, spülten, gurgelten. C. putzte ihre Zähne – aber der Nachgeschmack war, sagte sie, noch Stunden später zu spüren. Das Zeug, keuchte B., schmecke so, als hab jemand einen Duftbaum aus einem Taxi ausgekocht, den Sud dann abkühlen lassen und eine Spur fußschweißig-lahmer Kohlensäure eingeleitet. Und in Duftbäumen würde ja bekanntlich die getragene Unterwäsche von verschwitzen Waldarbeitern verarbeitet.

Zuckerlgeschäft

Als Kinder, kam es aus der zweiten Reihe der Würgenden, hätten wir das Zeug aber alle geliebt. Unser Taschengeld bei diversen Zuckerlgeschäften verschleudert, nur um Waldmeister und Zitronenbrausepulver zu bekommen – und es dann ohne den Umweg "Wasser & Glas" zu konsumieren: Wer am meisten im Mund aufschäumen lassen konnte, war ein Held. Aber konnten unsere Papillen wirklich dermaßen insensibel oder irregeleitet gewesen sein? Wir zuckten die Schultern – und verabschiedeten uns vom kurz zuvor noch diskutierten Traum, in ein Zuckerlgeschäft zu gehen und all die geschmacklichen Erinnerungen wieder aufleben zu lassen.

Heute kam C. dann mit einem uralten Ikea-Katalog daher. Gott weiß, woher sie das Ding hatte – aber es stammte aus jener Zeit, in der wir Waldmeisterbrausepulver noch zu schätzen gewusst hatten. Wir blätterten – und wurden blass: Das, was uns damals revolutionär, modern und stylisch geschienen hatte, erkannten wir wieder – aber es hinterließ einen ähnlichen Nachgeschmack wie die Waldmeisterbrause.