Bild nicht mehr verfügbar.

Des Menschen Genom, visualisiert in Kurven auf einem DNA-Teststreifen. Trennt die moderne Biotechnologie den Körper vom Geist?

Foto: APA/dpa/Stephan Jansen

Für den Philosophen Martin G. Weiß halten die Biowissenschaften an der Trennung von Körper und Geist fest. Zugleich unterlaufen sie diese aber auch – und stellen so ein zentrales Denkmotiv der europäischen Kultur infrage.

"Merleau-Ponty und seine 'Leibphänomenologie' sind weiterhin hochattraktiv, wenn es darum geht, sich den Menschen einmal ganz anders vorzustellen", erklärt der Philosoph Martin G. Weiß – nämlich nicht gekennzeichnet durch Begriffe wie "Seele" oder "Bewusstsein", zu denen in weiterer Folge ein "Körper"gehört, der dieser Seele als eine Art Vehikel dient: "Bei dem französischen Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty gibt es nur ein 'leibliches Existieren', das sich im Laufen, Sitzen, Denken oder worin auch immer vollzieht. Interessanterweise sind es die Biotechnologien, die einen solchen leibphänomenologischen Ansatz wieder aktuell und wichtig machen. Denn das Bild vom Körper, der eine gleichsam autonome Seele oder Geist beherbergt, wird von selbigen förmlich in die Luft gesprengt."

Irgendwie kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass der am Wiener Philosophischen Institut in der Forschungsplattform Life-Science-Governance tätige Weiß offene Türen einrennt, wenn er Biotechnologie mit Leibphänomenologie in Beziehung setzt. Denn wer glaubt heute noch daran, dass Seelisches etwas "Eigenes" ist – und nicht "bloß" den Effekt physiologischer Prozesse darstellt?

Und wo ist es nicht zur Selbstverständlichkeit geworden, den Menschen so gut wie nur möglich "ganzheitlich" zu denken, als Wesens-Einheit, die verschiedene Dimensionen – intellektuelle, emotionale, sexuelle – hat? Ist die "Sprengung", von der Weiß redet, nicht längst erfolgt?

Ganzheitliche Sicht

Ganz so einfach ist die Sache nicht. Zumindest dann nicht, wenn man genau hinsieht: Tatsächlich wird nämlich viel über eine ganzheitliche Sicht des Menschen geredet; getan hat sich diesbezüglich aber wenig. So ist ein guter Teil der gesellschaftlichen Strukturen, in denen man sich als Mitteleuropäer bewegt, nach wie vor von dieser alten Trennung zwischen Geist beziehungsweise Seele auf der einen und Körper auf der anderen Seite geprägt. Was man etwa in jedem großen Spital zu spüren bekommt: Allen Beteuerungen und Veränderungsmaßnahmen zum Trotz ist das Krankenhaus weiterhin eine riesige Maschine, die der "Körpersanierung" dient – auf dass Geist und Seele nach der "Kur" wieder über ein leistungsfähiges "Transport-Instrument" verfügen.

Freilich bleibt diese Logik unausgesprochen; in den verschiedensten Organisationsabläufen oder im Umgang, der mit den Patienten herrscht, kommt sie aber dennoch deutlich zum Ausdruck. Ähnliches lässt sich über viele Bereiche des Sports sagen, in denen der Körper gerne als Hochleistungssystem und der Geist bestenfalls als dessen "Anhängsel" betrachtet wird.

All diese strukturellen "Tiefenverankerungen" des als "Leib-Seele-Dualismus" bezeichneten Verhältnisses von Körper und Geist sorgen dafür, dass letzteres in unserer Kultur präsent bleibt. Und in weiterer Folge immer wieder zum Denkmotiv wird. Sogar, und das ist jetzt doch überraschend, in der Biotechnologie.

Genau hier hakt Weiß ein. Die schon angesprochene Sprengkraft der Biotechnologie beruht für ihn nämlich darauf, dass Felder wie die Gentechnik zwar einerseits die Trennung zwischen Seele/Geist und Körper auflösen (zum Beispiel dann, wenn die genetischen Hintergründe von Depression oder Schizophrenie aufgezeigt werden), zugleich aber auch mit dieser Trennung arbeiten.

Wobei letzteres auf folgende Weise passiert: "Zu den Biotechnologien", erklärt Weiß, "gehört auch die Vorstellung, dass mit ihr ein Wissen gewonnen wird, das sich zur Naturbeherrschung einsetzen lässt." Konkret zur Beherrschung der inneren Natur des Menschen, die sich etwa im Transmitterstoffwechsel des Gehirns äußert, respektive in der "Unordnung", die dort vielleicht entstanden ist. Hier will man regulierend und verändernd eingreifen; auch als Betroffener: Selbst die potenziellen "Nutzer" von Biotechnologie sehen diese in erster Linie als "Werkzeug", mit der sie quasi "via Arzt" buchstäblich an ihrem Körper "herumschrauben" können.

In dem Moment, in dem man aber so über sich selber nachdenkt, hat man bereits den alten Leib-Seele-Dualismus ins Spiel gebracht. Denn der Geist, der hier die Entscheidung trifft, mithilfe von Spezialisten an sich "herumdrehen" zu lassen, betrachtet freilich den Körper als ein Objekt, zu dem er zwar schon dazu gehört, sich irgendwie aber auch in Distanz befindet. Eine eigenartige "Entfremdung" von Körper und Geist kommt damit in der "Herumschraub-Phantasie" zum Ausdruck, die wenigstens als Muster den alten Leib-Seele-Dualismus wiederholt.

Diese Wiederholung hat nun für Weiß eine äußerst interessante Konsequenz: Durch den "im Übrigen unreflektiert vorausgesetzten Leib-Seele-Dualismus" produzieren die Biotechnologien nämlich eine Art "Paradoxie". Denn wovon sie ausgehen, passt nicht mehr zu dem, was sie tun. Schließlich sind die Biotechnologien in ihrer Praxis ja eher "monistisch": Phänomene wie Mentales oder Seelisches werden so behandelt, als ob sie sich jederzeit auf körperliche Strukturen wie genetische Effekte reduzieren ließen. Was zum Teil ja auch gelingt, wenn zum Beispiel ein Konnex zwischen bestimmten Gemütszuständen und genetischen Faktoren nachgewiesen werden kann.

Zum Einsturz gebracht

Hat aber der Monismus Gültigkeit, ist der still und heimlich vorausgesetzte Leib-Seele-Dualismus nicht nur Fehl am Platz – er wird gewissermaßen auch zum Einsturz gebracht. Und zwar auf viel drastischere Weise, so Weiß, als in vielen Theoriebüchern, die schon seit Jahrhunderten die Unbrauchbarkeit des Leib-Seele-Dualismus aufzuzeigen versuchen: Weil die Biotechnologien mit letzterem arbeiten und ihn zugleich empirisch "falsifizieren", ist eben eine "Sprengung" in Gang; die alte Trennung von Geist und Körper erweist sich in der Praxis als unbrauchbar.

Weshalb es passend erscheint, wenn Weiß das FWF-Projekt, in dem er diese Zusammenhänge erforscht, "die Auflösung der menschlichen Natur" nennt. Denn tatsächlich wird hier – durch ein geradezu als subversiv zu bezeichnendes Moment der Biotechnologie – ein zentrales Denkmotiv der europäischen Kultur in schwerste Bedrängnis gebracht, das für deren Selbst- und Weltverständnis nach wie vor konstitutiv ist. Für Weiß kündigt sich mit den Biotechnologien das endgültige Ende des Leib-Seele-Dualismus an. Was für ihn Merleau-Ponty interessant macht, weil dort eine Welt ohne selbigen schon angedacht ist. (Christian Eigner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.7 2006)