Das Beziehungsgeflecht bleibt im Verborgenen: Thomas Gazheli (Amfortas), Michael Baba (Parsifal, Mitte) und Martina Tomcic (Kundry).

Foto: Rupert Larl
Als Dirigent vermochte er wieder einmal zu überzeugen, als Regisseur hingegen nicht: Der Inszenierung fehlte es an Stringenz.

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Erl - Erl hat sich als sommerlicher Festspielort für die Gesamtkunstwerke Wagners mittlerweile einen Namen gemacht, lockt in- und ausländische Gäste in den malerisch gelegenen Ort. Nach Tristan und Isolde ist das Festspielhaus auch bei der zweiten Premiere des Sommers voll. Mit dem schwierig zu inszenierenden Parsifalhat sich Gustav Kuhn - Dirigent, Regisseur und Festspielintendant in Personalunion - allerdings (zu) viel zugemutet.

Musikalisches Geschick kann man Kuhn nicht absprechen. Umsichtig geht er mit den akustischen Bedingungen des Hauses um, trachtet immer wieder, die Sänger räumlich vorteilhaft zum Orchester zu platzieren, das an der Bühnenrückwand auf Stufen angeordnet ist. Dynamische Feinabmischung und klangliche Schattierungen mag er großzügig handhaben, doch wählt er straffe Tempi und zeichnet die Wagnerschen Strukturen im Überblick.

Abgenützte Ideen

Ähnliche Stringenz wollte ihm als Regisseur nicht gelingen. Allzu zerfranst und abgenützt fügen sich szenische Ideen aneinander. Im ersten Akt wähnt man sich gar in einer konzertanten Aufführung: Festspielchor wie Wiltener Sängerknaben (und -mädchen!) treten auf und wieder ab, organisieren sich auf der linken oder rechten Bühnenseite. Die Gralsritter in ihren Businessanzügen, darunter ein oranger Latz, wirken auf den Stufen einer Tribüne eher wie Fußballfans denn als Brüder einer Glaubensgemeinschaft. Gurnemanz steckt Kostümbildnerin Lena Radecky wiederum in Tracht. Nicht nur stilistisch verwirrend, sondern auch schlicht unpraktisch, muss er doch die Hände erst aus dem weiten Umhang frei schütteln, wenn er zwischen Kundry und Parsifal schlichtend einzugreifen hat.

Auf dem knappen Bühnenraum wissen alle Beteiligten ihre Positionen und Gesten, in Beziehung treten sie aber nicht miteinander. Das Beziehungsgeflecht, das Wagners Weihfestspiel zum existenziellen Drama werden lässt, bleibt einen Abend lang im Verborgenen. Kundrys rastlose Getriebenheit wird ebenso wenig spürbar wie Gurnemanz'Zukunftssorgen, die Manfred Hemm klangvoll, aber kaum verständlich vorträgt. Auch Parsifals Wandlung vom "reinen Tor"zum "durch Mitleid Wissenden"spielt sich bestenfalls auf und nicht unter der Haut ab: Im ersten Akt noch leger in Hemd und aufgekrempelter Hose, agiert er im zweiten Akt bereits in Anzughose und Gilet, allerdings noch in Turnschuhen. Als neuer Gralskönig muss er sich dann als stilechter Businessman gewanden.

Reizvoll ist der Einfall, den Schwan in anmutiger Gestalt einer Tänzerin leben und sterben zu lassen. Warum dieser allerdings im dritten Akt aus einer Ritterrüstung wieder aufersteht, Zweige der "schönen Au"ausbreitet und auch wieder einsammelt und schließlich Gurnemanz den wiedergewonnen Speer überreicht, bleibt trotz bemühtem christlich-österlichem Querdenken unschlüssig. Parsifal jedenfalls (stimmlich schlackenfrei und wortdeutlich: Michael Baba) scheint davon ebenso ungerührt wie von den Blumenmädchen des zweiten Aktes. Was ihm nicht zu verdenken ist, fehlt der fahrigen Schar in changierenden Pastellfarben doch jede sinnliche Betörungskunst.

Die vielschichtigen erotischen Facetten kann auch Kundry nicht zum Schwingen bringen. Zu harmlos ihr Umgang mit ihrem Peiniger Klingsor, zu nichts sagend die Begegnung mit Parsifal. Martina Tomcic wirkt obendrein schon im ersten Akt stimmlich angeschlagen und hat Mühe, Reserven zu mobilisieren.

Stimmlich steht Klingsor Michael Kupfer dagegen mühelos seinen Mann, meistert auch die artistischen Klettereinlagen auf einer Stehleiter. Um auf die verlorene Manneskraft hinzuweisen, bemüht die Regie das letzte Klischee und lässt den abtrünnigen Ritter eine Zigarre aus dem Hosentürl ziehen. Am Ende findet Amfortas - und nicht, wie in der Inhaltsangabe des Programmheftes angegeben, Gurnemanz - doch noch innere Erlösung. Thomas Gazheli beeindruckt durch Bühnenpräsenz und macht die Seelenqualen des an ewiger Wunde Leidenden dramatisch glaubhaft, selbst jenseits jeder Wortdeutlichkeit.

Nochmals versammeln sich alle auf der Bühne, Wagners letztes Werk, das er nur in Bayreuth aufgeführt wissen wollte, verklingt. Das Publikum spendet begeistert Beifall. Doch packendes Erkennen wollte im lauen Tiroler Sommerabend nicht nachklingen. (Petra Haiderer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 7. 6. 2006)