Die Hisbollah ist für den israelischen Militärstrategen Ephraim Kam der eindeutige Verlierer im Kräftemessen mit Israel. Sie werde sich als Folge der Kämpfe aus dem Südlibanon zurückziehen. Davon könnte auch der Libanon profitieren, sagt er zu András Szigetvari.
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Standard: Will die israelische Armee mit ihren Angriffen nur den Raketenhagel der Hisbollah stoppen oder versucht sie, die Hisbollah komplett zu zerstören?

Kam: Israel verfolgt drei Ziele: Erstens versucht die Armee, ihre abschreckende Wirkung gegenüber der Hisbollah wiederherzustellen. Die Hisbollah-Führer sollen verstehen, dass sie schwer bestraft werden, wenn sie israelische Soldaten entführen oder israelische Städte angreifen. Zweitens soll die Hisbollah von der Grenze zurückgedrängt werden. Und drittens will die Armee Teile des Raketenarsenals der Hisbollah zerstören.

Standard: Reichen Luftangriffe aus, um diese Ziele zu erreichen?

Kam: Die Hisbollah hat in den vergangenen Tagen sehr schwere Verluste erlitten. Die mobilen Raketenwerfer durch Luftschläge auszuschalten ist aber sehr schwierig. Denn es ist fast unmöglich, zwischen einem normalen Fahrzeug und einer mobilen Abschussrampe zu unterscheiden. Fahrzeuge, die sich bewegen, können daher kaum angegriffen werden. Wenn die libanesische Bevölkerung den Süden des Landes aber verlässt - und danach sieht es derzeit aus -, wird es für die Luftwaffe leichter werden. Dann kann jeder Lastwagen zum Ziel werden.

Standard: Sie sprechen davon, dass jeder Lastwagen beschossen werden kann. Überreagiert Israel nicht komplett?

Kam: Das wird ja nur passieren, wenn die Zivilisten weg sind. Ich glaube Israel tut, was getan werden sollte. Zudem soll die Hisbollah ja auch durch den internationalen Druck zum Einlenken bewogen werden. Die Überlegenheit der israelischen Truppen reicht zwar aus, um eine reguläre Armee wie die syrische zu besiegen. Aber sie reicht nicht aus, um eine Terrororganisation wie die Hisbollah zu zerstören. Die Hisbollah wird also nicht verschwinden. Aber ich glaube, als Folge ihrer schweren Verluste, wird sie sich zumindest aus dem Südlibanon zurückziehen.

Standard: Die israelische Führung hat in den vergangenen Tagen betont, von den heftigen Attacken der Hisbollah - auf Haifa oder ein israelisches Kriegsschiff - nicht überrascht gewesen zu sein. Dennoch sieht es so aus, als hätte man die Hisbollah unterschätzt.

Kam: Das glaube ich nicht. Die israelische Führung wusste, dass die Hisbollah mit iranischer Hilfe ein Raketenarsenal im Südlibanon aufgebaut hat. Ich glaube, es gab keine Zweifel, dass diese Raketen nicht nur Nordisrael, sondern auch Tel Aviv treffen können.

Standard:Sehen Sie die Gefahr, dass Syrien in den Krieg hineingezogen wird?

Kam: Ich denke nicht, dass die Syrer intervenieren wollen. Sie können dabei nur verlieren. Das syrische Regime ist sehr isoliert. Für die Führung in Damaskus wäre das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um irgendwelche Experimente zu starten. Und auf der anderen Seite hat auch Israel keinerlei Interesse daran, eine dritte Front zu eröffnen.

Standard: Würde Israel eine internationale Beobachtertruppe akzeptieren.

Kam: Eine internationale Truppe, die gemeinsam mit der libanesischen Armee den Süden des Landes kontrolliert, wäre ein guter Ausweg aus der Krise. Die Luftangriffe sollen ja gerade auch die libanesische Führung dazu bewegen, die Armee in den Süden zu schicken. Dadurch könnte die Regierung ihre fragile Autorität im Südlibanon wieder aufbauen. Auf lange Sicht, könnte sie also von der derzeitigen Lage sogar profitieren.

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ZUR PERSON : Ephraim Kam ist stellvertretender Leiter des Jaffee-Centers für Strategische Studien in Tel Aviv. Bis 1993 war er Leiter der Forschungsabteilung im militärischen Geheimdienst.(DER STANDARD, Printausgabe, 18. 07. 2006)