London - Für die irrtümliche Tötung eines Brasilianers nach den Terroranschlägen von London werden die beteiligten Polizisten nicht zur Rechenschaft gezogen. Gegen keinen der Beamten lägen ausreichende Beweise für eine individuelle Verurteilung vor, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft zum Abschluss einer Untersuchung am Montag in London.

Die beiden Polizisten, die am 22. Juli 2005 die tödlichen Schüsse auf Jean Charles de Menezes abgegeben hätten, seien "davon ausgegangen, dass er ein Selbstmordattentäter war, und wir können sie deshalb nicht wegen der Tötung belangen". Allerdings sei der gesamte Einsatz von "operationellen Fehlern" begleitet gewesen, weswegen die Londoner Polizei als Ganzes mit Strafmaßnahmen rechnen müsse.

von Fehlverhalten

Justizsprecher Stephen O'Doherty betonte, dass eine Summierung von Fehlverhalten verschiedener Amtsträger zu der Tragödie geführt habe, dass sich dabei aber kein Einzelner in strafrechtlichem Sinne schuldig gemacht habe. Deshalb solle die Londoner Polizei kollektiv wegen Verstoßes gegen Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien belangt werden. Im Widerspruch zu diesen Richtlinien habe die Londoner Polizei "nicht die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohlbefinden von Jean Charles de Menezes gewährleistet", sagte O'Doherty. Der Polizeibehörde droht dabei eine Geldstrafe.

Britische Polizisten hatten den in London lebenden 27-jährigen Jean Charles de Menezes am 22. Juli 2005 in einer U-Bahn mit sieben Kopfschüssen getötet, weil sie ihn irrtümlich für einen Selbstmordattentäter hielten. 15 Tage zuvor waren bei vier Anschlägen auf U-Bahnen und einen Bus in der britischen Hauptstadt 52 Menschen getötet worden.

Sechsmonatige Ermittlungen

"Die beiden Beamten, die die tödlichen Schüsse abfeuerten, handelten in dem Glauben, dass de Menezes ein Selbstmordattentäter sei, den Zug in die Luft jagen und dabei viele Menschen töten würde, wenn sie ihn nicht erschössen", erklärte die Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen hätten keine begründeten Zweifel an der Einschätzung durch die Polizisten ergeben.

Im Verlauf der sechsmonatigen Ermittlungen habe die Kommission vorübergehend Anklagen wegen Mordes, Totschlags und Dokumentenfälschung erwogen, sagte der Sprecher. Diese Vorwürfe seien aber fallen gelassen worden. "Eine gewisse Anzahl von Individuen hat Planungs- und Kommunikationsfehler begangen, die in der Summe zum tragischen Tod von Herrn De Menezes führten, aber kein Einzelner hat sich in hinreichendem Maße eines kriminellen Vergehens schuldig gemacht."

Sicherheitsrichtlinien "unsinnig"

Die Hinterbliebenen von De Menezes zeigten sich empört über den Befund der Ermittler. "Es ist absolut unglaublich, es ist eine Schande", sagte De Menezes' Cousin Alessandro Pereira in London. Die geplante Belangung der Polizei wegen Verstoßes gegen Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien sei "unsinnig". Pereira erinnerte an die Todesumstände seine Cousins: "Sie haben elf Mal auf ihn geschossen."

Die Umstände der tödlichen Schüsse auf den Brasilianer hatten in Großbritannien für hitzige Debatten gesorgt. Kritiker sahen darin einen Beleg für den Vorwurf, die Behörden hätten die Bürgerrechte bei der Verfolgung von Terrorismusverdächtigen missachtet. Die Diskussion ist erneut aufgeflammt, nachdem Polizisten im Juni einen unschuldigen britischen Moslem auf der Suche nach einer vermuteten chemischen Bombe anschossen. (APA/Reuters)