Zur Person

Andreas Zumach ist diplomatischer Korrespondent bei der UNO in Genf und verfolgt seit über 15 Jahren die Entwicklung des Völkerrechts und der internationalen Organisationen.

Der Erhalt von Frieden und Sicherheit in aller Welt ist oberstes Ziel der Vereinten Nationen. Sie wurden am 24. Oktober 1945 gegründet und zählen inzwischen 191 Mitgliedstaaten, die bei der Lösung internationaler Probleme auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und humanitärem Gebiet zusammenarbeiten. Zum 60. Geburtstag der internationalen Organisation wurden im vergangenen Jahr zahlreiche Reformen präsentiert. Ein Teil davon ist heuer beschlossen worden.

Andreas Zumach beschreibt im Interview mit Christa Hager, inwieweit jene auf die veränderte internationale Lage Bezug nehmen. Er kritisiert dabei nicht nur die Eigeninteressen der Mitglieder des Sicherheitsrates, sondern auch mangelnde Reflexionen über Ressourcenverknappung oder Terrorismus. Skeptisch äußerte er sich auch zu den Missionen von UNO und EU in der Republik Kongo.

* * *

derStandard.at: Spätestens seit dem Krieg in Kosovo hat die UNO Gewicht als Entscheidungsträger eingebüßt. Muss man nach Afghanistan und Irak davon ausgehen, dass die UNO weiter an Bedeutung verliert?

Andreas Zumach: Der Kosovo-Krieg ist der erste Einsatz ohne völkerrechtliches Mandat. Was nach dem 11. September stattfand, war hingegen eine schleichende Erweiterung des bestehenden Völkerrechts. Denn ohne auch nur ein Komma der Charta zu verändern, beschloss man einen Tag nach dem 9/11 eine Resolution, die die Terrorakte von New York und Washington als einen Angriff interpretierte und den USA Recht auf Selbstverteidigung einräumte. Im weiteren Verlauf der Resolution hieß es, diese Terroranschläge waren eine Bedrohung, ein Bruch von Frieden und Internationaler Sicherheit, der laut UNO-Charta im Normalfall mit militärischen Aktionen mandatiert wird.

Mit diesen beiden Formulierungen hat man de facto den USA die Erlaubnis gegeben, gegen Afghanistan vorzugehen. Zu erst hieß es, man ginge gegen die Al Kaida- Logistik vor haben dann aber bald die Regierung der Taliban mit eingeschlossen. Im September 2002 folgte die neue US-Militärdoktrin der Präventivschläge ohne UN-Mandat. Seit dem Irak- Krieg hat man nicht mehr versucht, die im Herbst 2001 beschlossene Resolution kritisch zu reflektieren. Man darf jedoch nicht nur die Bush-Regierung dafür verantwortlich machen. Alle anderen Subjekte dieses Völkerrechtes haben die Resolution ein Stück weit mitgetragen.

Darum bin ich besorgt, dass diese Situation immer weiter ausfranst: Wenn sich die USA mit Ausgesuchten verbünden, so können auch Indien oder Südafrika nach ihren Interesse vorgehen. Dann ist das Völkerrecht von 1945 tot.

derStandard.at: Reagieren die vorgesehenen Reformen der Vereinten Nationen auf die im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges veränderte internationale Politik?

Zumach: Sieben globale Herausforderungen und Probleme benannt: Aids, Unterentwicklung, Umweltprobleme, Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, grenzüberschreitende Kriminalität. Ein Kapitel fehlt aber völlig: die Ressourcenverknappung. Diese Leerstelle muss dringend aufgefüllt werden. Die Verknappung von Öl, Erdgas, Wasser oder Edelmetalle ist in vielen Punkten Auslöser oder zumindest Verschärfer von zwischen- und innerstaatlichen Konflikten. Zudem fehlt eine gemeinsame Definition von Terrorismus. De facto wird mit dem Begriff Terrorismus in Resolutionen, nationalen Gesetzen oder militärischen Strategien operiert. Die Definitionsmacht haben im Moment die westlichen Regierungen. Das ist ein politisches Problem und führt innerhalb der UNO zunehmend zu Konfrontationen. In diesem Punkt ist die Reform gescheitert. Was es braucht ist eine einheitliche Definition, um damit auf einer politischen Basis zu handeln, auf derer die 191 Mitgliedstaaten zugestimmt haben.

derStandard.at: Sind in der Reform Instrumente zur Beilegung von innerstaatlichen Konflikten vorgesehen. Können jene greifen?

Zumach: Zum einen gibt es die Friedensbildungskommission, womit die UNO versucht, sich mehr Kompetenzen nd Ressourcen zu schaffen. Damit sollen in Nachkriegskonflikten, die auch innerhalb eines Landes stattfanden, beim Wiederaufbau demokratischer Strukturen geholfen werden. Eine solche Kommission war längst überfällig. Wenn sie tatsächlich in die Praxis umgesetzt wird, wäre das ein Forschritt, um als UNO handlungsfähiger zu werden.

Der zweite Punkt ist die Veränderung der bisherigen Menschenrechtskommission in einen Menschenrechtsrat. Das hat nicht unbedingt mit den zunehmend innerstaatlichen Konflikten zu tun. Aber vielleicht wird auch hier eine schnellere und bessere Handlungsfähigkeit der UNO hergestellt. Schon die alte Menschenrechtskommission hat sich mit diesen Konflikten befasst. Von daher kann man nur wünschen, dass es in Zukunft effektivere Entscheidungen gibt als bisher. Zum Beispiel um in einer Situation wie Darfur handlungsfähiger zu werden.

derStandard.at: Was müsste so gesehen in Darfur geschehen?

Zumach: Man braucht dort Nahrungsmittel, Medikamente, Nahrung und Unterkunftsmöglichkeiten, damit nicht noch mehr Menschen elendiglich umkommen. Dazu wäre ein Landkorridor bis in diese Westprovinz Sudans nötig, um die Versorgung der Menschen zu gewährleisten. Im Falle kriegerischer Bedingungen, müsste ein solcher humanitärer Korridor militärisch geschützt werden. Das könnte eine robust ausgestattete UNO-Blauhelmtruppe tun.

derStandard.at: Warum ist dies bisher nicht geschehen?

Theoretisch ist all das schon machbar, auch unter dem bisherigen Völkerrecht. Dass es nicht geschieht, ist eine Frage des politischen Willens konkreter Mächte im Sicherheitsrat - in diesem Fall konkret Russland, China aber auch den USA. Letztere geben sich zwar geschickter in der Rhetorik, indem sie über das humanitäre Problem sprechen und es sogar Völkermord nennen. Sie sprechen primär über Maßnahmen, die Druck auf die Regierung in Khartum ausüben würden. Man kann aber den Verdacht nicht ganz loswerden, dass es den USA im Grunde nur darum geht, die Regierung auszuwechseln, damit die künftige sudanesische Regierung das Öl nicht mehr wie bisher vor allem nach China verkauft oder Waffen von Russland bezieht. Russland und China haben ganz klar diese Interessen, die verhehlen diese auch gar nicht.

==> Weiter klicken zu: Probleme der UNO- und EU-Mission im Kongo und der euopäischen Afrika-Politik

derStandard.at: Kann die UN-Truppe im Osten der Demokratischen Republik Kongo zur Stabilisierung dieser Region beitragen?

Zumach: Es gibt punktuelle Erfolge, wie zum Beispiel die Entwaffnung von Kindersoldaten. Ich bezweifle aber, dass die UN-Truppe auf Dauer diese stabilisieren kann. Das hat zum Teil mit dem schwachen Ressourcen der UNO-Truppe zu tun. Zum anderen damit, dass sich ohne eine politische Lösung der Konflikt schwer beenden lassen wird.

Hinter der Fassade der Missionen, sei es die UNO oder die EU-Truppe zur Wahlbeobachtung, gibt es jeweils unterschiedliche Interessen der Nationalstaaten. In der Republik Kongo gibt es vehement Konkurrenzen zwischen Frankreich und USA etwa, nicht zuletzt über die Kontrolle der Rohstoffversorgung. Deswegen können auf dem Papier gemeinsam beschlossene Missionen wie diese durchaus scheitern.

derStandard.at: Welche Rolle spielt die EU-Militäreinsatz bei einer solchen Stabilisierung?

Zumach: Es gibt keinen formalen Beschluss des UN-Sicherheitsrates der sagt, dass es sich um eine militärische Intervention handelt. Als gemeinsames Interesse wurde von allen Seiten artikuliert, dass die Wahlen ohne Probleme verlaufen sollen. Dies ist das politische Interesse, getragen von der gemeinsamen Erkenntnis, dass das nicht von selber passieren wird. Der Sicherheitsrat hat der EU diesen Auftrag gegeben, nachdem Kofi Annan keine Blauhelmtruppe zusammengebracht hat. Es handelt sich daher um kein UN- Mission, wie in Osttimor oder Bosnien. Das macht einen großen Unterschied, da die Befehlsstruktur oder das Kommando der EU-Militärführung unterliegt. Problematisch ist, dass solche Einsätze in Folge immer weniger nach gemeinsamen Standards passieren werden.

Abgesehen davon ist dieser Einsatz völlig unzureichend konzipiert. Er kann fürchterlich scheitern, und dann entsteht natürlich ein Sog, auch als Gesichtswahrungsgründen, mehr Truppen zu schicken. Das muss nicht, aber das kann passieren. Der Einsatz basiert ja auf Annahmen, die nur bei schönem Wetter zutreffen.

Dazu kommt, dass die EU im Zuge ihrer zunehmenden Militarisierung und ihres Aufbaus eigenständiger Handlungsinstrumente danach sucht, sich konkret zu beweisen. Dies ist damit verknüpft damit, dass einige EU-Staaten im Kongo wirtschaftliche Interessen haben.

derStandard.at: Steht das Interesse der EU in Afrika, nicht auch Zusammenhang mit ihrer Flüchtlings- und Asylpolitik?

Zumach: Zumindest wird als Begründung mit angeführt, dass es um Stabilität geht, damit weniger Menschen versuchen, nach Europa zu kommen. Aber wie viele es aus dem Kongo überhaupt versuchen, ist sehr schwer zu registrieren, weil die meisten physisch gar nicht ankommen.

derStandard.at: Die EU will dazu ja auch Flüchtlingslager in Tansania und Tunesien errichten. Kann dies zur Besserung der humanitären Situation der Flüchtlinge betragen?

Zumach: Ich bezweifle, dass das funktionieren wird. Gleichzeitig gibt es ein viel größeres Problem: die Wirtschafts- und Agrarpolitik der EU. Sie führt dazu, dass wir durch Subventionen überproduzieren, die großen Mengen die Preise in die Höhe treiben und Überschüsse teuer und subventioniert einlagert werden. Wenn die Mengen zu groß werden, wird es ein drittes Mal subventioniert und – meist in Afrika - auf den Markt geschmissen. Dort sind die Produkte dann billiger als es die lokalen Bauern erzeugen könnten. Sie kommen um ihre Einkünfte, geben ihre Dörfer, ihre Landwirtschaft auf und ziehen in die Städte. Die Möglichkeit der Staaten, ihre Bevölkerung aus den eigenen Erzeugnissen zu ernähren sinkt. Die wirklichen Probleme sind diese ungerechten Handelstrukturen und Subventionszahlungen. Man kriegt das Problem auch nicht mit militärischer Abschottung weg.

derStandard.at: Untergräbt diese europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht auch die UN- Flüchtlingskonvention.

Zumach: Man macht es de facto unmöglich, dass Menschen überhaupt ihr Land verlassen können, um die Grenzen eines sicheren Aufnahmelandes zu erreichen. So ergeben sich auch die "Erfolgsmeldungen" des deutschen Innenministers, wenn er feiert, dass die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber, verglichen mit den Zahlen bis Anfang 2000, drastisch zurückgegangen sind. Man spielt vor, die Angelegenheit sei erledig. Leider hält man die Menschen nur ein Stück weiter weg. Diesen Staaten werden zum Teil die Vorüberprüfungen überlässen. Das ist rechtsstaatlich höchst fragwürdige. Es gibt dort keine Verfahrenssicherheit mehr, aber auch in Deutschland ist sie nicht mehr wirklich gegeben.