Rudolf Habringer Josef P. Mautner (Hg.)
"Der Kobold der Träume"
€ 19,90/189 Seiten
Picus, Wien 2006.

Foto: Picus Verlag
Träume, zumindest erinnerte, und Texte, wenigstens belletristische, siedeln am selben Ufer. Beide können als Transkriptionen des Unbewussten gelesen werden. Während Literatur aber laut Anna Mitgutsch den Anspruch erhebt, "im Privaten immer das Öffentliche mit einzubeziehen", stehen die Träume unter dem Generalverdacht, "bizarre Innenwelt" bloß zufällig zu spiegeln. Dazu kommt die desillusionierende Erkenntnis der Neurophysiologen, die im Traum nicht mehr als "von elektrischen Stürmen in unserer Großhirnrinde erzeugte Bildreihen" (Marcel Möring) zu sehen vermögen.

Trotz aller gegenwärtig gebotenen Skepsis gegenüber den "Ringkämpfen jede Nacht", wie Franz Kafka die biochemisch angeleiteten REM-Aktivitäten noch poetisch zu umschreiben vermochte, gelang es den Herausgebern Rudolf Habringer und Josef P. Mautner, für ihren Sammelband Der Kobold der Träume namhafte österreichische Schriftsteller und Künstler anderer Metiers - neben Anna Mitgutsch u.a. Margit Schreiner, Eugenie Kain, Monika Wogrolly und Vladimir Vertlib - dafür zu gewinnen, ihre Träume zu erzählen und zu kommentieren.

Selbstverständlich kommen die Autoren-Träumer dabei nicht an Sigmund Freuds monumentaler "Traumdeutung" vorbei. Allerdings verwendet nur Monika Wogrolly dessen manifest-latente Theorie-Terminologie, während es bei den meisten "Traumarbeitern" ein erstaunlich großes Bedürfnis geben dürfte, nicht "jeden Turm als Penis und Wasser in jeder Form als mütterliches Fruchtwasser zu deuten" (Mitgutsch).

Infrage gestellt wird aber nicht nur die penetrante Freud'sche Traumsymbolik, sondern generell die psychoanalytische Deutungshoheit über die verwirrenden Bilder der Nacht. Fast zwangsläufig kehren so "vorwissenschaftliche" Deutungsmuster wieder, in denen der Traum als "Kundgebung höherer Mächte" (Freud) firmierte. Wobei bei dieser Gewinnung an Reflexionsterrain durch den "Rückfall ins Mythologische" das Göttliche wenig überraschend durchs Gesellschaftliche ersetzt worden ist: Josef P. Mautner etwa entdeckt in seinen Träumen Zerrspiegelbilder seines sozialpolitisches Engagements und verfremdete Entsprechungen "der zunehmenden Regression in der Entwicklung der österreichischen Gesellschaft während der neunziger Jahre".

Auch die Träume und Albträume Vladimir Vertlibs sind mit der Zeitgeschichte eng verknüpft, verwandeln seine zehnjährigen Erfahrungen mit Emigration und Fremdsein in surreale Sprach-Bilder, die in lebenskluge Sätze münden: "Man muss sich fallen lassen, um wieder aufstehen zu können." Die Psychotherapeutin Luna Gertrud Steiner wiederum wendet das biblische Propheten-Paradigma, wonach Träume das Schicksal von Völkern vorhersagen, ins Individualistisch-Futurologische, wenn sie meint, dass Träume mitunter künftig gangbare Lebenswege anzeigen. Und der im Wiener Exil lebende serbische Architekt Bogdan Bogdanovic, in dessen Traumprotokoll die Leichen der Balkankriege auf Kinostühlen sitzen, greift ebenfalls auf eine präfreudianische Tradition zurück, wenn er meint, "meine Träume wissen mehr als ich", und in ihnen archetypische Medien am Werk sieht, in denen die Ahnen mit ihm sprechen.

Manche Autoren verzichten ganz auf die Dechiffrierung ihrer Träume - und haben Canetti auf ihrer Seite, der in "Die Provinz des Menschen" schreibt: "Wehe dem Narren, der sie gleich deutet, er verliert sie und fasst sie nie wieder, sie welken, bevor sie grün waren." In der Tat sind manche Traumbilder - zum Beispiel Jutta Schwarz' riesiger Vogel, der aus unzähligen Kindern besteht - von so rätselhafter Schönheit, dass es unverzeihlich wäre, wenn man sie mittels interpretarorischer "Auflösung" ihres Geheimnisses zu berauben versuchte. (Ewald Schreiber, DER STANDARD, Printausgabe vom 15./16.7.2006)