Ich war damals auf der Suche nach einer Sonnenbrille gewesen. Glaube ich. Oder hatte eine Freundin begleitet. Auf jeden Fall waren wir am Kohlmarkt bei Gucci gelandet, hatten ziemlichen Spaß mit den Preisen („Nein, das sind keine Artikelnummern, das sind die Preise“) – und waren trotz unsere offenkundigen Armut nicht betrübt. Denn es gab Sonnenbrillen – und die kosteten bloß dreimal das durchschnittliche Jahreseinkommen einer Familie in einem Dritte-Welt-Land.
Professionelle Arroganz
Außerdem war es egal: Die Verkäufer hatten, nachdem sie einmal erkannt hatten, dass man mit uns kaum ein Geschäft machen würde und mangels „echter“ Kunden ihre professionelle Arroganz gegenüber hungerleidenden Normalverdienern abgelegt – und feixten und blödelten mit uns. Als der Russe hereinkam, lagen etwa zehn Sonnebrillen auf der Budel.
Der Russe – der Mann sprach jedenfalls russisch und wir fragten ihn nicht, woher er genau käme – hatte zwei Damen bei sich. Kategorie „noch nicht entdeckte Supermodels“. Also entweder seine Sekretärinnen oder seine Nichten. Jedenfalls erklärte uns der bei uns verblieben Verkäufer – zwei andere stürzten sich sofort auf die Troika –, dass das immer die offizielle Sprachregelung sei. Und während die Damen durch de Laden schritten und auf Dinge zeigten, die eingepackt und abtransportiert werden würden, stand der Russe gelangweilt mitten im Laden – und schaute uns beim Brillenprobieren zu.
Ein 35-Schilling-Stück
Irgendwann kam er zu uns. Wir machten – er hatte ja Kohle und wir waren nur zum Spaß hier – zur Seite. Er schaute sich die Sonnebrillen an, zeigte dann auf eine und erklärte, dass er diese hier wolle. Weil sie so anders als die anderen aussähe. Dann nahm er meine alte, vergammelte H&M-Brille und setzet sie auf. Das Ding – ein 35-Schilling-Stück - war im Zuge des Probierens auch auf dem Tresen gelandet.
Der Verkäufer erklärt – in dem Anschein nach fließendem Russisch – dass diese Brille unverkäuflich sei. Vermutlich wusste er, was er tat. Denn der Russe holte ein Bündel Bargeld aus der Tasche. Und fragte (übersetzte uns der Verkäufer danach): „Was heißt ‚unverkäuflich’?“
Imagefrage
Der Verkäufer zeigte auf mich. Und redete. Dann fragte er mich, woher ich die Brille hätte. Ich sagte „H&M“ und zeigte in etwa in Richtung Mariahilfer Straße. Der Verkäufer redete weiter auf den Russen ein. Der nickte fröhlich – und begann, Geldscheine auf den Tisch zu zählen. Ich meinte, er solle aufhören – und zum Schwedenbomber gehen. Aber der Verkäufer fragte mich, ob ich verrückt sei: Der Mann würde vor seinen Nichten das Gesicht verlieren, wenn er den Fuß in so einen Laden setze. Und habe genug Geld. Ich solle einfach irgendwann nicken. Und „Da“ sagen.