Englisch als Unterrichtssprache, eine dezentrale Verteilung auf die vorhandenen Uni-Institute und Internationalität fordert Carl Djerassi für die Elite-Uni.

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Als Erfinder der Anti-Baby-Pille schrieb Carl Djerassi, der 1938 vor den Nationalsozialisten in die USA floh, Wissenschaftsgeschichte. Im Gespräch mit Colette M. Schmidt sprach er nun über die Umstände seiner österreichischen Staatsbürgerschaft und Elite-Unis.

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Graz - Aus der Chemie hat sich einer der prominentesten Wissenschafter, der im Alter von 15 Jahren als Sohn eines jüdische Arzt-Ehepaares von den Nazis aus seiner Heimatstadt Wien vertrieben wurde, vor Jahren verabschiedet. Seither schrieb er bereits sieben Stücke, die teilweise in mehrere Sprachen übersetzt werden.

Trotzem wird er weiterhin zu wissenschaftlichen Kongressen eingeladen und öffentlich vor allem als Chemiker wahrgenommen. In Graz wurde nun im Rahmen des 4. Europäischen Kongresses zur Reproduktionsimmunologie an der Medizinischen Uni Graz eine Bearbeitung seines Stückes "Tabus" aufgeführt.

STANDARD: Sie schreiben unermüdlich neue Stücke, etwa über In-vitro-Fertilisation oder daraus entstehende neue familiäre Konstellationen. Was trieb Sie dazu, mit etwa 70 Jahren Bühnenautor zu werden?

Djerassi: Gewisse Themen werden erst jetzt immer wichtiger. In meinem Stück Tabus werden fünf ganz einfache Wörter, nämlich Heirat, Eltern, Embryo, Baby und Zwillinge, zum Anlass genommen, um zu zeigen, dass keines mehr seine alte Bedeutung hat. Zwillinge können heute von zwei verschiedenen Müttern geboren werden, Schwule können Eltern sein.

STANDARD: Aber warum wählten Sie gerade das Theater als neues Medium?

Djerassi: Das Dialogische ist sehr wichtig für mich als Wissenschafter, der das nie gebrauchen durfte. Ein Wissenschafter muss immer abstrakt, nie persönlich schreiben. Vor allem wir Chemiker! Wir haben es nicht wie die Ärzte, die Anton Tschechow oder Arthur Schnitzler waren, mit Patienten zu tun, sondern nur mit Molekülen.

Wir haben eine Sprache, die nur als Piktogramm auf dem Papier oder auf der Tafel funktioniert. Zwei Chemiker können sich gar nicht so unterhalten, wie wir beide das eben tun. Da war das Schreiben für mich nach 50 Jahren wie eine Explosion!

STANDARD: Sie sind in letzter Zeit oft in Österreich. Hat das mit der Wiedererlangung Ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft vor drei Jahren zu tun?

Djerassi: Nicht direkt. Ich lebe in letzter Zeit lieber in London als in San Francisco. Aber das mit der Staatsbürgerschaft ist etwas anders. Ich habe selbst gedacht, sie haben sie mir zurückgegeben, aber sie haben sie mir nie weggenommen. Mein Vater war nämlich Bulgare, und meine Mutter, eine Wienerin, wollte, dass ich nach der Scheidung Österreicher werde, aber da wurde ich abgelehnt, weil damals nur der Vater zählte. Das habe ich erst jetzt erfahren.

STANDARD: Aber ohne Nationalsozialismus wären Sie doch Österreicher geworden ...

Djerassi: Sicher und deshalb ist mein neuer Pass eine wichtige Geste. Ich wurde gefragt und musste dann im Wiener Rathaus viele Formulare ausfüllen. Das wurde ähnlich geprüft wie bei einem afrikanischen Fußballer, denn man zum Staatsbürger macht. Heute reisen meine Frau und ich in Europa aus zwei Gründen mit den österreichischen Pässen: Weil wir in EU-Ländern schneller unterwegs sind und außerdem, weil ich mich für den Fundamentalisten George Bush schäme.

STANDARD: Sie waren Professor für Chemie an der Elite-Uni Stanford. Was halten Sie von den Plänen der österreichischen Regierung, hier eine Elite-Uni zu errichten?

Djerassi: Die Idee ist nicht schlecht, weil Wien vor 100 Jahren ja schon einmal Forschungselite war, aber wenn diese Uni internationale Elite sein will, dann müssen internationale Studenten und Professoren rein gelassen werden. In Stanford etwa sind ein Fünftel aller Studenten aus Asien, oder an der ETH Zürich sind fast alle Chemiker Ausländer. Außerdem müsste die erste Unterrichtssprache Englisch sein.

STANDARD: Derzeit klagen allerdings bereits Forscher an den bestehenden Unis in Österreich, dass ihnen die Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen durch das Fremdenrecht erschwert wird ...

Djerassi: Da müssen die Österreicher wohl noch erkennen, dass solche Leute samt ihren Kindern, die dann vielleicht hier geboren werden, wichtig sind für ein Land, das nicht mehr wächst.

STANDARD: Und was halten Sie vom Standort Gugging?

Djerassi: Nicht viel. Ich würde diese Uni aus psychologischen und politischen Gründen nicht als eigenes fixes Gebäude etablieren, sondern aus einzelnen Stücken von Instituten errichten, als Inseln der Excellence auf bereits bestehenden Unis in Österreich. So würde man das Niveau der Unis heben und viel Geld sparen, das sonst in die Infrastruktur eines neuen Hauses fließt. (DER STANDARD, Printausgabe, 12. Juli 2006)