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Die Story wirkt (heute) eher konventionell, die Bilder aber sind noch immer hinreißend: Da ist das verfallene Haus, das anzieht und verstört. Das Gewitter am weiten Himmel. Die Lichtblitze aus Gewehren. Und die silbernen Sporen, die rasseln und bedrohen. Raoul Walshs Film feiert das Kino der Präsenz - mit Gespür für Landschaft und Wetter, für Architektur und Ding, für Gebärde und Gestik. "Pursued/Verfolgt" erzählt von der Fehde zweier Familien, von der Suche nach einem Zuhause und der Qual der Erinnerung. Der Film ist eine Fantasie über den Fluch der Abstammung. Und eine Reflektion über die Schwierigkeit, dem zu entgehen. Ein Junge kommt früh in eine andere Familie, wird anerkannt und geliebt - und hat dennoch unentwegt das Gefühl, nicht dazuzugehören. Er stellt Fragen, erhält jedoch keine Antworten. So gerät er immer häufiger außer sich. Seine Konflikte spitzen sich im Inneren zu, die Intrigen, die Zwistigkeiten, auch die fragilen Annäherungen. Die Schauplätze draußen dagegen überhöhen die Situationen ins Mythische: dunkle Wolken, die tief hängen überm weiten Land. Und hohe, schroffe Felsen, die einschränken und bedrängen.

Raoul Walsh war ein Meister in allen Genres, aber seine besten Filme drehte er (vor allem für das Studio Warner Bros.) in den amerikanischsten aller Genres: im Western, im Kriegs- und im Gangsterfilm. Sein Kino zielt - betont beiläufig (aber nie naiv) - stets auf Wagnis und Abenteuer. Es bietet eine Mischung aus Kraft und Träumerei, aus Aufbruch, Fantasie und Lebenslust.

Jeder sei allein, heißt es einmal, jeder habe seine eigenen Antworten zu finden. Doch der Junge hat keine Chance dazu. Er wird älter und größer, geht als Soldat in den Krieg - und ahnt dennoch, dass ihn irgendwer oder irgendwas verfolgt. So verliert er Schritt für Schritt, während er eigentlich zu gewinnen meint.

Mehr als "Blood on the Moon/Nacht in der Prärie" von Robert Wise, ebenfalls mit Mitchum, für den es so oft reklamiert wird, ist Walshs "Pursued" der Western noir par excellence. Nicht nur wegen Kadrage und Licht. Auch wegen der düsteren Schauplätze, der Puzzle-Dramaturgie und der Dominanz des Vergangenen. "Warum läuft alles nur so falsch?", fragt Teresa Wright zu Beginn, als sie zurück ist bei Robert Mitchum, dem Mann, den sie ihr Leben lang liebt. Aber sie findet keine Antwort darauf, nur verstörende Hinweise und erschreckende Gefühle - Groll und Rage, Hass und Rache. (Norbert Grob / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.7.2006)