Erkrankt sind Landwirtschaft, Weinproduktion, Exportaktivitäten. Im Armenhaus Europas, in Moldau, ist die Schaumwein-Produktion durch Russlands Importabstinenz massiv eingebrochen.

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Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, wusste schon Lenin. In jüngster Zeit wissen einige Sowjet-Nachfolgestaaten ein Lied davon zu singen, was es bedeutet, sich nicht im Gleichschritt mit Russland zu entwickeln. Russland löst die Bande zu den Staaten auf, mit denen es keinen gemeinsamen Wirtschaftsaufschwung verbindet.

Konkret sind es die, die in den vergangenen Jahren ideologisch abdrifteten: Georgien, Moldau und die Ukraine. Moskaus blitzartiger Bruch mit ihnen trägt alle Anzeichen von Sanktionen: Die Gaspreise für alle drei wurden mit Jahresbeginn angehoben. Seit Frühling hat Moskau den Import georgischen und moldauischen Weins, georgischen Mineralwassers und landwirtschaftlicher Produkte aus Georgien und der Ukraine gestoppt.

Genau gezielt

Moskau zielt genau. Gerade diese Produkte sind es, die diese Länder schon zu Sowjetzeiten an den großen Bruder im Norden geliefert haben und auf die sie bis heute in ihrer Exportstruktur fixiert blieben. Der Absatz in Russland gab ihnen Recht: Bis zuletzt assoziierten Russen Wein mit Georgien und Moldau, Mineralwasser mit den kaukasischen Bergen Georgiens und landwirtschaftliche Produkte gleicher Qualität bei geringerem Preis mit der Ukraine.

Am stärksten trifft der Ausfall die Ukraine, da ihre Ökonomie energielastig und Russland einer der wichtigsten Exportmärkte ist. Gleich nach der Gaspreis-Verdoppelung revidierte die Europäische Bank für Wiederaufbau die Prognose für das Wirtschaftswachstum 2006 von 3,5 bis fünf Prozent auf 1,5-3,5 Prozent nach unten. Das ukrainische Wirtschaftsministerium erwartet 2,8 Prozent bei einer Inflation von 11,5 Prozent und rechnet mit 900 Mio. Dollar mehr Ausgaben für die Industrie. Laut russischem Wirtschaftsblatt Vedomosti beträgt der Schaden für die Landwirtschaft monatlich 50 bis 60 Mio. Dollar. Der Fleischpreis ist um mehr als ein Drittel eingebrochen, vier große Fleischkombinate haben die Produktion eingestellt.

Hilferuf aus Moldau

Das europäische Armenhaus Moldau zahlt 110 statt 80 Dollar für russisches Gas, ab dem dritten Quartal werden es gar 160 Dollar pro Kubikmeter sein. Der Export brach in den ersten vier Monaten um zehn Prozent auf 323 Mio. Dollar ein, der nach Russland um 32 Prozent auf 86 Mio. Dollar. Bisher hat Moldau 80 Prozent seiner Weinprodukte nach Russland verkauft - in den ersten fünf Monaten sank die Flaschenweinproduktion um 38 Prozent, die Schaumweinproduktion um 49 Prozent. Schon befürchtet Moldau eine sozialökonomische Krise im Herbst, hat Hilfe vom Internationalen Währungsfonds erbeten.

Georgien, das nun 110 statt 63 Dollar für Gas zahlt, beziffert seinen Schaden durch die russischen Sanktionen mit bescheidenen 0,5 bis ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Laut Zentralbank hat Georgien seinen Export erfolgreich diversifizieren können; besonders in die Türkei.

Neue Bande knüpfen

Die Bande, die Russland auf der einen Seite löst, knüpft es auf der anderen. Der Wendepunkt sei das vorjährige Massaker im usbekischen Andischan gewesen, meint das russische Journal RBK: Während die Welt über den Massenmord an den Demonstranten und die Zukunft des Diktatorregimes grübelte, habe Russland seine Außenpolitik geändert und den Diktator Islam Karimov in die Arme genommen. Die Annäherung an die zentralasiatischen Staaten, Teile des Kaukasus und Weißrusslands war genommen.

Was politisch als Neoimperialismus daherkommt, wird wirtschaftlich durch beiderseitig nützliche Bande getragen: Viele GUS-Länder haben Russland als neues Zentrum anerkannt. Zum militärischen Schutz kommt, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung (wohlgemerkt auch aus Georgien, der Ukraine und Moldau) auf dem Boom-Markt Russland als Gastarbeiter arbeitet; und an ihren Geldüberweisungen hängt das Budget einiger Länder. Russland wieder braucht die Länder zur Lösung seiner demografischen Krise und kann ohne turkmenisches Gas und den kasachischen Atomkomplex nicht zum Weltmarktführer auf dem Energiesektor aufsteigen. (Eduard Steiner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.7.2006)