P. J. Tracy:
"Mortifer"
Deutsch: Axel Merz. € 9,20/
400 Seiten. rororo, Reinbek bei Hamburg 2006.

Buchcover: Reinbek
PJ. ist die Mutter, Tracy die Tochter: ein Duo, das mit seinen Thrillern Spiel unter Freunden und Der Köder einen Blitzstart auf die Krimibestenlisten hingelegt hat. Ihr neuester Roman, der dieser Tage auf den Markt gekommen ist heißt Mortifer und spielt in der ländlichen Umgebung von Minneapolis, wo die beiden einen Teil des Jahres leben und arbeiten. Das Land ist flach, zwischen hunderten Teichen, Seen und Sümpfen, wachsen Laubwälder. Manchmal ragen die bleichen Äste abgestorbener Bäume aus dem Wasser. Schilf und Wasserlinsen fügen der üppigen Grünskala weitere Nuancen hinzu. Es ist idyllisch und um die Sümpfe herum ein wenig gruselig in dem einstigen Cheese-Belt der USA.

Die an die schwedischen Einwanderer erinnernden Farmhäuser sind zu Zweitwohnsitzen geworden und die zugezogenen Rentner haben, nicht immer zur Freude der Einheimischen, den Charakter des früheren Bauernlandes für immer verändert. Die Dörfer im Nirgendwo bestehen aus Tankstelle, Autohändler, Kirche und Kneipe, wo man als Highlight Schnitzel mit Béchamelsauce, Bisonburger oder kalifornischen Cardonnay auf Eiswürfeln ordern kann. Die Sehenswürdigkeit: eine Scheune, auf die jemand eine überdimensionale Kopie der Mona Lisa gepinselt hat. Mortifer spielt an so einem Ort. Four Corners ist am helllichten Tag vollkommen verlassen, als drei Frauen auf der Durchreise eine Autopanne haben und versuchen herauszufinden, was da passiert ist.

Sie sind mitten in ein tödliches paramilitärisches Manöver hineingestolpert. Einige selbst ernannte Vaterlandsretter planen Anschläge mit Massenvernichtungswaffen und bringen dabei als Kollateralschaden ein paar Einheimische um. Dummerweise können die drei Frauen, die dabei sind, der Verschwörung auf die Spur zu kommen, in den unübersichtlichen Wäldern von den Milizen nicht ausfindig gemacht werden. Was den verrückten Anführer der Truppe zur Weißglut bringt. Der hält nämlich die Einhaltung der Menschenrechte und ähnliche Sentimentalitäten für den Anfang vom Untergang. Sein großartiges Vaterland wird überschwemmt von Einwanderern, die nicht hierher gehören. Der verderbliche Einfluss der Frauen mit ihrem Humanismusgewäsch und die schwache Regierung - sie müssen zurückgedrängt und die wahren Werte wieder hochgehalten werden. Deswegen ist es eine Heldentat, eine Moschee in Detroit und die Einwanderungsbehörde in Chicago in die Luft zu sprengen.

Die Autorinnen müssen für solche Figuren nicht viel erfinden: die Typen, die in den Wäldern militärische Übungen abhalten, sind Realität. Die sind allzeit bereit, sich gegen die Liberalen in Washington, die Juden, die Freimaurer, die Schwarzen, die Muslime, die Feministinnen und die Umweltschützer zur Wehr zu setzen, um den Staat zu retten. "Es gibt jede Menge solcher Leute" meinen sie, "es ist nicht nur der Ku-Klux-Klan. Seit 9/11 hat sich viel verändert. Die Reaktionen auf den Terroranschlag waren in den ländlichen Gebieten aggressiver." In Minnesota und den angrenzenden Bundesstaaten sind die Nachkommen der norwegischen, schwedischen und deutschen Einwanderer bei Weitem in der Überzahl. In den 80er-Jahren kamen die Russen, dann kurioserweise die Tibeter, die Mexikaner und zurzeit siedeln sich Immigranten aus Äthiopien an. "Das löst bei manchen Alteingesessenen xenophobische Reaktionen aus und fördert die Bildung von rechtsextremen Gruppierungen. Wer sich in den Wäldern auskennt und sich versteckt, wird nie gefunden."

Mortifer ist also ein klassischer Thriller mit gesellschaftspolitischem Hintergrund, bei dem die Autorinnen in atmosphärischer Hinsicht manchmal ein wenig an den Großmeister Stephen King herankommen. Sie selbst allerdings bevorzugen Edgar Allan Poe, Mark Twain oder John Steinbeck. Tracy ist zudem in der russischen Literatur zu Hause. Sie hat Russisch studiert weil es damals, zur Zeit des Kalten Kriegs, so schön exotisch war. Außerdem studierte sie klassische Musik - um später in einer Rockband zu spielen. Auf das Schreiben sind Mutter und Tochter gekommen, weil sie damit die Schule von Tracy bezahlen konnten. "Es waren fürchterlich kitschige Liebesgeschichten", erinnern sie sich lachend. Die Harmonie zwischen den beiden ist außergewöhnlich. Selbst die üblichen pubertären Auseinandersetzungen blieben ihnen erspart. "Wir sind komplementär, aber wir respektieren uns. Wir streiten nie."

Ihre Bildschirme im Farmhaus stehen nebeneinander; ein paar Schritte vor dem Haus, unter einem knallgrünen Rasen sind die geliebten Reitpferde begraben und hinter der verfallenen Scheune, die aus einem Tom-Waits-Song stammen könnte, erstreckt sich ein unheimlich stiller, tiefer See. Der nächste Krimi ist in Arbeit; er schöpft aus den hässlichen beruflichen Erfahrungen von Mutter P. J. (Patricia Jean). Sie hat jahrelang als Rechtsanwaltsgehilfin gearbeitet. Irgendwann hat sie es nicht mehr ausgehalten, die vielen halb zu Tode gequälten, gedemütigten Frauen zu betreuen, zu erleben, wie viele sich aus Angst vor ihrem Mann weigerten, ihren Folterer anzuzeigen. Und manchmal ist auch der Täter viel zu glimpflich davongekommen. Der Titel wird Snowblind heißen. Beginnen wird die Story zwischen den Wolkenkratzern von Minneapolis. Dort ist es am Sonntagmorgen genauso menschenleer wir in Four Corners. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 8./9.7.2006)