Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Und Deutschland ist nicht Weltmeister. Auf den Tag genau 52 Jahre nach dem "Wunder von Bern"- dem legendären WM-Sieg von 1954 also - schaffte die deutsche Elf im Halbfinale kein "Wunder von Dortmund". Jürgen Klinsmann und sein Team konnten den Traum vom Einzug ins Finale und dem Sieg im Berliner Olympiastadion am Sonntag nicht verwirklichen.

Trauer, Tränen und eine riesengroße Enttäuschung legten sich nach der Niederlage gegen Italien über das ganze Land. Doch nach dem ersten Schock gab es allerorts eine doch tröstliche Erkenntnis: Deutschland hat zwar nicht gesiegt, ist aber trotzdem kein Verlierer. Das machten nicht nur die deutschen TV-Kommentare klar, die von einem verdienten Sieg Italiens sprachen, sondern schrieb auch die Bild-Zeitung. "Wir weinen mit Euch! Ihr seid trotzdem Helden!", titelte das Springer-Blatt, und am Tag nach der Niederlage verlieh sich das Land selbst einen Siegertitel: Wir sind Weltmeister der Herzen.

Und das ist nicht die Trotzreaktion eines geschlagenen Landes, sondern gar nicht unberechtigt. Deutschland hat bei dieser WM so viel gewonnen. Man erinnere sich an die Monate vor dem Anpfiff: Da wurde um angeblich unsichere Stadien gestritten, da lagen die Nerven bei den Innenministern blank, da glaubte kaum einer an das deutsche Team. Doch dann kam es ganz anders: kein Terrorangriff, keine schweren Ausschreitungen pöbelnder Fans, kein Besuch des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadi-Nejad - und statt schon in der Vorrunde auszuscheiden, legte die deutsche Elf fünf Siege in Serie hin, bevor sie von den Italienern gestoppt wurde.

Das Schönste aber war diese Leichtigkeit, die von Beginn der WM an über dem Land lag. Wie die Weltmeister schwenkten die Deutschen ihre schwarz-rot-goldenen Flaggen, und wenn es einen einzigen Erfinder von Public Viewing gäbe, man müsste ihm das Bundesverdienstkreuz an die Brust heften. Ganz ohne politisch verordneten Hurra-Patriotismus, ohne Furcht erregenden Nationalismus, sondern friedlich und freundlich entdeckten die Deutschen die Freude an ihrem Land.

Sicherlich wenig weltmeisterlich war, was die deutsche Regierung während der WM bot. Zwar hat sie Reformen auf den Weg gebracht, aber bei genauerem Hinschauen (Erhöhung der Krankenkassenbeiträge) beschlich einen ähnlicher Frust wie Jens Lehmann beim zweiten Tor der Italiener. Jürgen Klinsmann, für dessen Verbleib als Trainer sich viele nun auf www.klinsmann-muss-bleiben.destark machen, hat aus einer Gurkentruppe eine junge, hungrige Mannschaft geformt, die löwenhaft kämpfte. Merkels Truppe hingegen blieb wieder einmal im grauen Mittelmaß stecken - gefangen im schwarz-roten Konsens-Proporz. So sehen keine Sieger aus. Während sich die Politik eigentlich keine Sommerpause erlauben dürfte, hat sich die deutsche Elf Erholung verdient. Denn Deutschland hat jetzt Appetit auf noch mehr Fußball und weiß: Nach der Weltmeisterschaft 2006 ist vor der Europameisterschaft 2008. (DER STANDARD Printausgabe 06.07.2006)