Die Kamera auf ein Land gerichtet, das hinter den revolutionären Versprechungen zurückbleibt: Mohsen Makhmalbafs "Hochzeit der Auserwählten"

Foto: Filmarchiv
... und riskiert dabei auch ertragreiche Expeditionen in die jüngere Geschichte des Filmlands Iran.


Häuser explodieren im Bombenhagel, der Boden bricht den Menschen unter den Füßen ein, ein Lastwagen braust aus diesem Untergangsszenario davon, entgeht nur knapp den Detonationen. Bashu, der kleine Fremde (1989) beginnt mit Impressionen aus dem Iran-Irak-Krieg, erzählt aber in der Folge von einem Wiedereintritt in die Gesellschaft. Dem titelgebenden Helden, einem dunkelhäutigen Jungen, gelingt als einzig Überlebendem die Flucht aus seinem versehrten Dorf im Süden des Iran. Als blinder Passagier reist er mit dem Laster in den grünen Norden des Landes, eine ihm völlig unbekannte Region.

Bashu findet dort neuen Anschluss. Die allein stehende Bäuerin Nai nimmt ihn unter ihre Fittiche. Obwohl der fremde Junge ob seines ungewohnten Äußeren von den anderen Dorfbewohnern mit Skepsis bis offener Ablehnung betrachtet wird, hält sie eisern zu ihm. Sie gibt ihm zu essen, obgleich sie ihre eigenen Kindern kaum ernähren kann, pflegt ihn, als er krank wird, betrachtet ihn bald als Familienmitglied, dem sie völlig selbstlos ihre bedingungslose Liebe gewährt.

Bahram Beyzais Bashu, der kleine Fremde ist ein Film von elementarer Kraft, ohne jedes falsche humanistische Pathos. Geradlinig breitet er seine so archetypische wie historisch offene Erzählung aus, die von der Überwindung gesellschaftlicher Vorurteile handelt, dabei aber seinen Figuren – allen voran Nai – einen störrischen Eigensinn belässt. Nai steht nie in Verdacht, nur für die Idee eines idealen Handelns einzustehen: Sie verkörpert eine Frau, die sich nicht einfach über Regeln hinwegsetzt, sondern vor allem auf sich selbst vertraut. Darüber wird sie erst zur Botin einer neuen Gesellschaft.

Beyzai gehört zu den im Ausland weniger bekannten Regisseuren des iranischen Kinos, was unter anderem an seiner Eigenart liegt, die Mythen seines Heimatlandes mit einem realistischen Kino zu versöhnen – was es angeblich international weniger zugänglich macht. Im breit angelegten Sommerspecial "Brennpunkt Orient" des Filmarchiv Austria, das einen seiner Schwerpunkte auf das Filmland Iran legt, stellen seine Arbeiten sehenswerte Raritäten dar. Etwa auch Die Ballade von Tara (1980), ein historisches Drama um den Geist eines Kriegers auf der Suche nach einem Schwert, das Beyzai noch zu Schahzeiten begonnen hat.

Weitaus geläufiger ist das Schaffen von Mohsen Makhmalbaf (Reise nach Kandahar, 2001, Gabbeh, 1996), dem prototypischen nachrevolutionären Filmemacher, der sich vom strengen Agitator der Revolution zum global vermarktbaren Arthouse-Regisseur entwickelt hat. Ein seltener gezeigter Film aus seiner mittleren Schaffensperiode ist allerdings Hochzeit der Auserwählten (1989), neben Bashu, der Fremde eine weitere der wenigen filmischen Aufbereitungen des Iran-Irak-Kriegs.

Traumatisierter Held

Makhmalbaf geht das Thema mit dem ihm eigenen sozialkritischen Furor an. Im Mittelpunkt stehen ein Kriegsveteran und seine Versuche, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Diese hat jedoch kaum Verwendung für ihn. Der traumatisierte Veteran wird zum Reporter – und Alter Ego des Regisseurs –, der sich mit seiner Fotokamera ein Bild von den sozialen Verhältnissen auf den Straßen macht. Dabei muss er nicht nur einsehen, dass die Versprechen der Revolution nur ungenügend verwirklicht wurden. Er stellt auch fest, dass erneut eine starrköpfige Bürokratie über das Land regiert – ein Zustand, an dem er sukzessive zerbricht.

Einen Blick zurück, an die Anfänge des neuen iranischen Kinos gewährt hingegen Da^riush Mehrjui, dessen Film Die Kuh (1968), der um die Fürsorge eines Bauern um seines liebstes Vieh kreist, zwar noch vor der Revolution realisiert wurde, den islamischen Führern dann aber als Vorbild für ein "wertvolles" Kino galt. Dabei ist Mehrjui, der in L. A. studierte, für westliche Themen stets offen gewesen: Der Briefträger (1971) ist etwa eine Übertragung von Büchners Woyzeck in den ländlichen Iran der damaligen Gegenwart. Mit geradezu fellinesken Sittenbildern zeichnet Mehrjui den Weg eines Mannes nach, der gedemütigt und ausgenützt wird – und schließlich eine Verzweiflungstat begeht. (Dominik Kamalzadeh /DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.7.2006)