Wien - "Es kann sein, dass ich es getan habe. Ich stufe es aber nicht als ein schweres Vergehen ein", verantwortete sich ein im Wiener "Haus der Barmherzigkeit" untergebrachter pensionierter Priester, nachdem man ihn bei einem sexuellen Übergriff ertappt hatte. Eine Pflegerin konnte am 30. Dezember 1998 beobachten, wie der betagte Monsignore, der im Pflegeheim seelsorgerische Pflichten erfüllte, einen geistig und körperlich behinderten Mann im Genitalbereich betastete. Seiner Verhandlung im Wiener Straflandesgericht blieb der inzwischen 86-jährige Geistliche heute, Dienstag, unentschuldigt fern. Sein Mandant sei nicht mehr orientiert, könne einem längeren Gespräch nicht entsprechend folgen, führte Verteidiger Edmund Röhlich ins Treffen. Staatsanwältin Gabrielle Müller-Dachler legte dem Priester Schändung zur Last, und da es sich dabei um ein Vergehen und kein Verbrechen handelt, war der Schöffensenat (Vorsitz: Anton Baumgartner) in der Lage, in Abwesenheit des Beschuldigten zu verhandeln. So wurde hauptsächlich das Protokoll mit der Einvernahme des Geistlichen vor dem U-Richter verlesen. Dort hatte der Priester unumwunden seine homosexuellen Neigungen zugegeben. Den betreffenden Patienten, einen 35-jährigen Wiener, dürfte er schon länger im Auge gehabt haben. "Ich fühlte mich zu dem Burschen hingezogen, wenn auch mit Vorbehalt", deponierte er jedenfalls in der Voruntersuchung. "Die Patienten haben ein großes Liebesbedürfnis" Den Übergriff interpretierte der Priester als "Ausdruck der Liebe und Zuneigung". Seine nähere Erklärung: "Diese Patienten haben ein großes Liebesbedürfnis. Ich finde, dass ich etwas Gutes tue, wenn ich sie streichle." Der Mann habe sich auch nicht gewehrt, im Gegenteil: "Dass er lächelnd auf seinem Bett geblieben ist, war für mich Zeichen seiner Zustimmung." "Das Opfer war auf Grund seiner Erkrankung nicht in der Lage, die Bedeutung einer sexualbezogenen Handlung zu erkennen oder gar einzusehen", erklärte dazu der Psychiater Heinrich Pfolz in seinem Gutachten. Der Mann sei auch nicht vernehmungsfähig. Jene Pflegerin, die sich damals im selben Raum befunden hatte und mit dem Ankleiden eines anderen Patienten beschäftigt gewesen war, schilderte im Zeugenstand jedoch anschaulich, der Mann habe nach dem "Zugriff" des Seelsorgers "irgendwie aufgelacht oder geschrien, wie ich ihn nie zuvor gehört habe". Mildernde Umstände für einen Auffälligen "Es war mehr als eine bloß flüchtige, sexualbezogene Berührung", erkannte daher der Schöffensenat. Der Monsignore wurde anklagekonform zu sechs Monaten bedingter Haft verurteilt. Mildernd war sein bisher ordentlicher Wandel, erschwerend dem gegenüber "die Ausnützung einer besonderen Vertrauensstellung als Priester". Sein Anwalt erbat sich drei Tage Bedenkzeit, die Anklagevertreterin gab keine Erklärung ab. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. Im "Haus der Barmherzigkeit" war zumindest dem Pflegepersonal schon länger aufgefallen, dass der Geistliche mit Vorliebe die Patienten besuchte, wenn diese gewaschen oder geduscht wurden. "Das hat mich gestört. Meiner Meinung nach muss das schon länger gegangen sein", deutete die Zeugin an, dass es sich bei dem einen Fall womöglich nicht bloß um eine Ausnahme gehandelt habe. Allerdings betonte sie, das sei "nur eine Vermutung". Jedenfalls hatte man den Geistlichen öfters aus den Zimmern verwiesen, wenn er besonders ungelegen kam. Mittlerweile hat der Seelsorger das "Haus der Barmherzigkeit" verlassen. Wie sein Anwalt auf Anfrage mitteilte, verbringt er nun in einem von Nonnen geführten Kloster im südlichen Niederösterreich seinen Lebensabend. (APA)