Selbst in den Reihen der großen Koalition ist die Reform des deutschen Gesundheitswesens umstritten.

Irgendwann war SPD-Chef Kurt Beck von der parteiinternen Kritik an der Gesundheitsreform so entnervt, dass er sogar mit Rücktritt drohte. Das wusste die Bild-Zeitungüber die Schlussphase der Verhandlungen zu berichten. Schließlich gilt die Gesundheitsreform als das zentrale Reformprojekt der deutschen Regierung. Doch kaum haben Beck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber den Kompromiss vorgelegt, wird er auch in der Luft zerrissen. Doch Merkel betonte in einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag, dass alle Parteien und Fraktionen der großen Koalition die Eckpunkte auf den Weg gebracht hätten. Sie verteidigte das Konzept als einen Durchbruch in zwei Richtungen. So tief greifende strukturelle Veränderungen hin zu mehr Wettbewerb habe es im Gesundheitswesen noch nicht gegeben, seit sie Politik mache. Die Koalition habe außerdem den Einstieg in eine qualitativ neue Finanzierungsordnung vereinbart.

"Die Eckpunkte der Gesundheitsreform werden als ein Erfolg verkauft, der keiner ist. Weil die Politik keine Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzgrundlagen ergreift, müssen die Krankenkassen ihre Beiträge 2007 erhöhen", kritisieren die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen Deutschlands in einer gemeinsamen Erklärung. Sie glauben auch nicht, dass die ohnehin schon heftig umstrittene Erhöhung der Beiträge um 0,5 Prozentpunkte ihr Finanzloch stopfen kann. Gernot Kiefer, Chef der Innungskrankenkassen (IKK) rechnet mit Beitragssteigerungen von 0,7 Prozentpunkten.

Außerdem missfällt den Krankenkassen der geplante Gesundheitsfonds, in den künftig die Beiträge der Arbeitgeber und -nehmer ebenso fließen sollen wie Steuermittel - um dann an die Kassen weitergegeben zu werden. Das werde zu einem höheren Verwaltungsaufwand führen. Ratlos macht die Kassenvertreter auch, dass die durch Steuermittel vorgesehene Finanzierung der Kinderversicherung noch nicht geklärt ist. 2008 sollen dafür 1,5 Milliarden Euro fließen, im Jahr darauf drei Milliarden Euro. "Das Finanztableau haben wir noch nicht verabredet", räumt Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ein. Steuern will die Koalition ja nicht erhöhen, "Verschiebungen zulasten anderer Sozialversicherungssysteme, wie zum Beispiel der Rente"lehnt Steinbrück ab.

Schmidts Wünsche

Auch in der Koalition sorgt der Gesundheitskompromiss für Unruhe. Selbst Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gibt zu, sie hätte sich "mehr gewünscht"- etwa die Einbeziehung von Privatpatienten in die Reform. Das aber habe die Union zu verhindern gewusst. Zur Diskussion steht nun, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mehr als die von der Koalition veranschlagten zwei Punkte (von 6,5 auf 4,5) zu senken. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, Print, 5.7.2006)