Hermann Scheer stellt fest, dass in Österreich die Bevölkerung offener für erneuerbare Energien seien als Parteien.

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Mehr Windkraft, dann könnte Österreich binnen fünf Jahren auf die Versorgung durch erneuerbare Energie umsteigen, sagt Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises, zu Birgit Baumann.

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STANDARD: Amerika sei süchtig nach Öl, hat George Bush vor Kurzem eingeräumt. Gilt das nicht auch für Europa?

Scheer: Bush hat noch nicht verstanden, dass die Zivilisation ohne Wechsel zu erneuerbaren Energien bald in einer Sackgasse stecken wird. Dieses Unverständnis teilt er mit vielen anderen - auch mit der österreichischen Regierung.

STANDARD: Wo sollte Österreich stärker investieren?

Scheer: Österreich hat mit seiner Wasserkraft einen wahren Goldschatz für die Zukunft und könnte leichter als die meisten europäischen Länder völlig auf erneuerbare Energien umsteigen. Der ideale Mix wäre 70 Prozent Wasserkraft, die es ja schon gibt. Der Rest kommt überwiegend aus Windkraft, ein wenig aus Photovoltaik und Verstromung von Bioenergie in Blockheizkraftwerken.

STANDARD: Gegen Windkraft gibt es viele Bedenken - etwa, dass Windräder die Landschaft verschandeln.

Scheer: Diese Debatte ist völlig kontextlos. Man kann doch nicht so tun, als würde herkömmliche Energie einfach vom Himmel fallen. Die braucht Hochspannungsleitungen, und da frage ich: Was ist schöner - eine Windkraftanlage oder Strommasten?

STANDARD: Andere finden Windkraft zu laut und warnen vor Wirkungslosigkeit bei Windstille.

Scheer: Weht kein Wind, wird eben eine Turbine mehr im Wasserkraftwerk angestellt. Diese Entscheidung kann man binnen Sekunden treffen. Nur noch peinlich ist das Argument der Lärmbelästigung. Jedes vorbeifahrende Auto macht mehr Geräusche als ein 50 Meter von einem Wohnhaus entferntes Windrad.

STANDARD: In welchem Zeitraum könnte man einen Energiewechsel hinbekommen?

Scheer: Österreich könnte binnen fünf Jahren zu einer vollständigen Versorgung aus erneuerbarer Energie kommen. Während man für ein konventionelles Kraftwerk eine Bauzeit von fünf bis acht Jahren braucht, ist eine Windkraftanlage in einer Woche installiert. Aber es bedeutet halt den Wechsel von wenigen Großanlagen zu vielen kleinen und mittleren Anlagen, also eine andere Eigentumsform.

STANDARD: Wie aufgeschlossen schätzen Sie eigentlich die österreichische Bevölkerung ein?

Scheer: Die Bereitschaft zum Umsteuern ist seit der Debatte um Zwentendorf sehr hoch. Österreich hat auch das Know-how, die Ingenieure und Handwerker. Umso bedauerlicher ist es, dass in den großen Parteien keine demokratische Debatte stattfindet, was auf den Einfluss der Verbundgesellschaft und der OMV zurückzuführen ist. Weil sich das System der konventionellen Energie über ein Jahrhundert hinweg etabliert hat, werden erneuerbare Energien systematisch denunziert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.7.2006)