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Es handelt sich bei diesem Artikel um die gekürzte Fassung eines Textes, der in "juridikum – Zeitschrift im Rechtsstaat, Heft 2/2006" erschienen ist.

Foto: APA/EPA/Mike Brown
Eine UNO-Konvention gegen die Folter verpflichtet alle Vertragsstaaten, Folterer entweder im Inland anzuklagen oder auszuliefern. Die Implementierung scheitert allerdings oft am staatlichen Mitleid mit staatlichen Folterern.

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Lange Zeit wurde die Folter mit den düsteren Zeiten des Mittelalters identifiziert: Daumenschrauben oder Streckbank als Methoden, um Geständnisse zu erpressen, Vierteilen oder Rädern als Körperstrafen. Mit dem Rationalismus und der Humanität der Aufklärung war die Folter als besonders grausames und irrationales Element des Strafrechts verboten und, so hoffte man, endgültig beseitigt worden.

Dass dies nicht der Fall war, wurde vor allem durch die Praktiken der Gestapo und des KGB deutlich. In Reaktion auf den Holocaust fanden die Menschenrechte Eingang ins Völkerrecht, und das Verbot der Folter firmiert darin als eines der wenigen absoluten und notstandsfesten Rechte.

Als bekannt wurde, dass dennoch in den Militärdiktaturen Lateinamerikas der 1970er-Jahre systematisch gefoltert wurde, hat Amnesty International das 20. Jahrhundert als "Jahrhundert der Folter" tituliert und eine weltweite Kampagne für deren Abschaffung initiiert. Diese Kampagne zeigte schon bald Wirkung. 1975 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Deklaration gegen die Folter, in der sie verstärkte Maßnahmen gegen diese "Geißel der Menschheit" ankündigten.

Die Repression gegen Folterer ist das Hauptmerkmal der UNO-Konvention gegen die Folter (CAT) aus dem Jahr 1984. Zum ersten Mal wurde in einem völkerrechtlichen Vertrag zum Schutz von Menschenrechten das Weltstrafrechtsprinzip verankert.

Folglich sind alle Vertragsstaaten einschließlich Österreichs verpflichtet, jede in ihrem Hoheitsgebiet aufhältige Person, die im Verdacht steht, Folter (wo auch immer und gegen wen auch immer) angewendet, angeordnet oder auch nur wissentlich geduldet zu haben, festzunehmen, die Verdachtsgründe eingehend zu untersuchen und schließlich nach dem Grundsatz "aut dedere aut iudicare" zu entscheiden, ob die Person im Inland angeklagt oder an einen anderen Staat ausgeliefert wird. In der Praxis tun die meisten Vertragsstaaten allerdings so, als ob sie noch nie etwas vom Weltstrafrechtsprinzip gehört hätten.

Folterspezialist in Wiener Spital

Als sich beispielsweise der Folterspezialist und damalige Stellvertreter Saddam Husseins, Mohammed al-Duri, 1999 in einem Wiener Spital von den Strapazen der Folter erholte und die Grünen die österreichischen Behörden aufforderten, ihn festzunehmen, behauptete das Justizministerium allen Ernstes, dass es dazu eines Auslieferungsersuchens eines anderen Staates bedürfte (als ob Saddam Hussein nichts Besseres zu tun gehabt hätte, als die Auslieferung seines Vizes zu begehren, damit diesem im Irak der Prozess wegen Folter gemacht werden könnte)!

Als der spanische Richter Balthasar Garzón die britischen Behörden um die Auslieferung von General Pinochet ersucht hatte, nahmen ihn diese 1998 in London fest, wo er sich ebenfalls nach den Mühen eines Diktator-Lebens medizinisch versorgen ließ, und das House of Lords entschied sogar, dass ihn selbst seine Eigenschaft als ehemaliger Staatschef nicht vor strafgerichtlicher Verfolgung schützte.

Allerdings hatte der damalige britische Innenminister Jack Straw derartiges Mitleid mit seinem chilenischen Kollegen, dass er ihn aus humanitären bzw. gesundheitlichen Gründen nicht an Spanien auslieferte, sondern nach Chile zurückschickte, wo er vielleicht einmal posthum verurteilt werden wird. Ähnlich schwierig gestaltet sich das Verfahren gegen den ehemaligen Diktator des Tschad, Hissein Habre.

Zwar wurde er im Senegal aufgrund des Weltstrafrechtsprinzips 2000 unter Hausarrest gestellt, aber schließlich entschied sich der Oberste Gerichtshof mit einer dem österreichischen Justizministerium vergleichbaren Logik dafür, mangels eines ausdrücklichen Auslieferungsersuchens eines anderen Staates nichts tun zu können. Obwohl Belgien in der Zwischenzeit die Auslieferung begehrt hat, weigert sich der senegalische Präsident weiterhin standhaft, seinen Kollegen der belgischen Justiz auszuliefern.

Staatliches Mitleid mit staatlichen Folterknechten

Diese Beispiele zeigen, dass das Weltstrafrechtsprinzip offenbar ein für Folterknechte und Diktatoren allzu grausames Instrument ist, dessen Implementierung immer wieder am staatlichen Mitleid mit staatlichen Folterknechten scheitert.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben einen Paradigmenwechsel im internationalen Menschenrechtsschutz herbeigeführt. Selbst demokratische Rechtsstaaten vermeinen plötzlich, absolute und notstandsfeste Rechte wie das Folterverbot relativieren und mühsam errungene internationale Menschenrechtsstandards dem globalen Kampf gegen den Terror opfern zu müssen. Anhand extremer Beispiele wie des "ticking bomb"-Szenarios wird die ethische Zulässigkeit, wenn nicht gar Notwendigkeit der Folter befürwortet.

In verschiedenen europäischen Staaten wie z. B. Schweden versuchen die Regierungen, das so genannte Refoulement-Verbot, das heißt das Verbot, Ausländer an Staaten auszuliefern oder abzuschieben, in denen ein großes Risiko besteht, gefoltert zu werden, durch simple diplomatische Zusicherungen von notorischen Folterstaaten wie Ägypten oder Syrien zu umgehen. Der vormalige britische Innenminister hat sogar begonnen, seine Politik der Ausweisung unliebsamer Muslime an ihre Heimatländer durch spezielle Verträge mit Staaten wie Jordanien, Libyen und Libanon abzusichern, und nahm meine Kritik an der Menschenrechtspolitik des "Mutterlandes der Demokratie" übel auf.

Noch weniger Kritik scheinen nur noch die Vereinigten Staaten zu vertragen. Um die in der US-Verfassung und in völkerrechtlichen Verträgen niedergelegten menschenrechtlichen Standards zu umgehen, haben sie eigene Lager für angebliche Terroristen in Afghanistan, Irak, Kuba und möglicherweise auch in Europa eingerichtet.

Sie argumentieren, dass sie einen globalen "Krieg gegen den Terror" führten, in dem internationale Menschenrechtsstandards nicht anwendbar seien, sodass sie angebliche Terroristen in diesen Lagern ohne jegliche gerichtliche Kontrolle so lange internieren dürften, bis der "Krieg gegen den Terror" vorbei sei, das heißt auf unbegrenzte Zeit.

Rumsfelds besondere Verhörmethoden

Um von den internierten Personen Informationen zu erhalten, hat Verteidigungsminister Rumsfeld besondere Verhörmethoden autorisiert, wie lange Einzelhaft, Ausnützung von individuellen Phobien (z. B. Angst vor Hunden), Schlafentzug und Anketten der Gefangenen in so genannten Stresspositionen bis zur Praxis, Gefangene nackt auszuziehen und extremen Temperaturen auszusetzen.

Im Lauf des Jahres 2005 habe ich gemeinsam mit vier weiteren ExpertInnen der UNO-Menschenrechtskommission eine Untersuchung der Situation der Häftlinge in Guantánamo Bay durchgeführt. Nach langen Verhandlungen hat die US-Regierung schließlich einem Kurzbesuch in diesem Lager zugestimmt. Wir mussten den Besuch allerdings in letzter Minute absagen, da die US-Regierung nicht bereit war, UNO Mindestbedingungen für Fact-Finding-Missionen zu akzeptieren, wie vor allem die Möglichkeit, mit Häftlingen vertrauliche Gespräche zu führen.

Wir haben unsere Untersuchung dennoch durchgeführt und uns dabei vor allem auf bereits veröffentlichte Dokumente der US-Regierung und Gespräche mit Anwälten sowie mit ehemaligen Guantánamo-Häftlingen gestützt. Wir kamen zu dem einstimmigen Ergebnis, dass internationale Menschenrechtsstandards auf Guantánamo anwendbar sind, dass die weitere Anhaltung dieser Häftlinge ohne gerichtliche Kontrolle rechtswidrig ist und die Behandlung der Häftlinge als erniedrigend und unmenschlich zu qualifizieren ist und in einzelnen Fällen auch das Ausmaß von Folter erreicht. Unsere wichtigste Forderung ist, das Lager auf Guantánamo unverzüglich zu schließen.

Einladung zu einer "guided tour"

Die US-Regierung hat auf unseren Bericht in einer Weise reagiert, die man von einem demokratischen Staat nicht erwartet hätte. Statt sich mit unseren Rechtsargumenten auseinanderzusetzen und möglicherweise die eigene Position zu überdenken, hat die Bush-Regierung die Glaubwürdigkeit unserer Untersuchung mit dem Argument in Zweifel gezogen, dass wir ihre großzügige Einladung zu einer "guided tour" nach Guantánamo Bay ausgeschlagen hätten.

Diese kurze Übersicht sollte illustrieren, dass die Auseinandersetzung mit der Folter keineswegs auf die rechtshistorische Analyse mittelalterlicher Praktiken beschränkt ist. Statt Folter wirksam zurückzudrängen oder gar auszurotten, müssen wir in Zeiten wie diesen schon fast froh sein, wenn es uns gelingt, dass sie sich nicht weiter verbreitet.

Aber vielleicht geht auch jene dunkle Epoche, in welcher der Kampf zwischen Terroristen und Antiterroristen nach der militärischen Logik beider Seiten ständig eskaliert, bald zu Ende und macht einer neuen Platz, in der wieder vernünftig über die Ursachen von Terrorismus, bewaffneten Konflikten, Armut und den damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen gesprochen wird und entsprechende Strategien einer wirksamen Prävention dieser Menschenrechtsverletzungen eingeleitet werden, die letztlich auch einmal zur weit gehenden Ausrottung der Folter führen werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 1./2. Juli 2006)