Istanbul - Es hätte schlimmer kommen können - so lautet das Urteil vieler Türken über die österreichische EU-Präsidentschaft. Nach dem Widerstand Wiens gegen die Eröffnung der türkischen Beitrittsgespräche im vergangenen Herbst hatte Ankara nicht damit gerechnet, dass im anschließenden Halbjahr unter österreichischer Regie viele Fortschritte für die türkische EU-Bewerbung erzielt werden könnten. Am Ende der sechsmonatigen Wiener Präsidentschaft ist die türkische Regierung heilfroh, dass der Beitrittsprozess nicht nur nicht zum Stillstand kam, sondern mit dem Beginn der inhaltlichen Verhandlungen sogar einen wichtigen Schritt vorankam.

Besonders Außenministerin Ursula Plassnik stand während der österreichischen Präsidentschaft unter Beobachtung der türkischen Politiker und der Medien. Plassnik war im vergangenen Oktober das Gesicht der Wiener Vorbehalte gegen Beitrittsgespräche - ein halbes Jahr später erlebten die Türken die Politikerin dann von einer ganz ungewohnten Seite "Diesmal war sie für uns", stellten türkische Zeitungen erstaunt fest, als sich Plassnik am 12. Juni vehement für eine Lösung im neu aufgeflammten Streit um Zypern einsetzte und damit den Beginn der inhaltlichen Beitrittsverhandlungen sicherte. Kein Land wolle schließlich ein Desaster am Ende seiner Ratspräsidentschaft, anaylisierten EU-Spezialisten in der türkischen Presse.

Keine Wunder zu erwarten

Nach der Grundsatzentscheidung der EU für Beitrittsgespräche unter der ausgesprochen Türkei-freundlichen Ratspräsidentschaft Großbritanniens konnte die Regierung in Ankara im ersten Halbjahr 2006 keine Wunder erwarten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gab als Ziel für die Österreich-Phase in der EU den Beginn der inhaltlichen Beitrittsverhandlungen aus - und dieses Ziel wurde am Ende auch erreicht, wenn auch nur nach schwierigen Verhandlungen.

Auffällig war außerdem, dass Erdogans Regierung stets den Unterschied zwischen der europäischen Politik einerseits und den guten türkisch-österreichischen Beziehungen andererseits betonte. Der Premier selbst bezeichnete den Stand der bilateralen Beziehungen demonstrativ als "gut".

Nun richtet sich der Blick der Türken auf Finnland, das bis Ende des Jahres in der EU das Heft in der Hand haben wird; danach ist Deutschland für ein halbes Jahr an der Reihe. Beide Länder gelten in Ankara als Türkei-freundlicher als Österreich, aber problemlos wird der türkische EU-Prozess dadurch nicht. Besonders der Zypern-Konflikt bereitet allen Beteiligten schon jetzt Kopfschmerzen: Die Türkei weigert sich bisher, die Forderung der EU nach Öffnung der türkischen Häfen für Güter aus der griechischen Republik Zypern zu erfüllen. Bis Ende des Jahres will die EU Ergebnisse sehen - die Regierung in Helsinki sollte schon jetzt einige Krisensitzungen einplanen. (APA)