Reichenau - Die für die Unternehmen günstige Lohnentwicklung in Österreich berge die Gefahr einer "Niedriglohnfalle", sagte Gunther Tichy von der Akademie der Wissenschaften bei einer prominent besetzten Enquete in Reichenau/Rax (NÖ). Volkswirtschaftlich gesehen habe die "Lohndisziplin"neben dem Angstsparen zur eklatanten Nachfrageschwäche geführt.

Einzelbetrieblich gesehen, warnte Tichy, behindere die Fokussierung auf Niedriglöhne in einer Art "Teufelskreislauf"den notwendigen Strukturwandel zu hochqualitativen Produkten und Nischen. Tichy: "Österreich bleibt in Niedriglohnbranchen stecken und ist der Billiglohnkonkurrenz voll ausgesetzt."Dieser Wettbewerb könne aber nicht gewonnen werden.

Auf Einladung von AK-NÖ und ÖGB plädierte Tichy in diesem Zusammenhang für ein Beibehalten der traditionell "solidarisch einheitlichen Lohnpolitik"in den einzelnen Branchen und sprach sich gegen einen zu starken Bezug auf einzelbetriebliche Gewinn- und Produktivitätsentwicklungen aus, wie dies etwa die Industrie fordert.

Nach den derzeitigen demographischen Prognosen sei bis mindestens 2020 mit einer weiterhin hohen Arbeitslosigkeit in Österreich zu rechnen. Das Wirtschaftswachstum in dieser Zeit werde kaum über zwei Prozent hinaus kommen und so höchstens marginal zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen.

Als erstes gehöre seitens der Politik die "Verunsicherungsrhetorik"eingestellt, in der dauernde Krisenszenarien - von der Unfinanzierbarkeit des Gesundheitssystems oder der Altenversorgung - entworfen werden. Ebenso würde die private Nachfrage angekurbelt, wenn staatlicherseits die Anreize zum Sparen bis hin zu Steuerförderungen für die Altersvorsorge gekürzt bis gestrichen würden.

Die Steuerförderung von Überstundenzuschlägen oder des 13. und 14. Monatsgehaltes hält Tichy angesichts bestehender Arbeitslosigkeit und gegebener Einkommensverteilung für schlicht falsch. Gestärkt gehörten im Gegenteil vor allem die Einkommen im untersten Bereich, hier könne vom zusätzliche erzielten Einkommen auch kaum gespart oder gar Luxusgüter importiert werden.

Zu guter Letzt müsste die Finanzierung des Sozialversicherungssystems weg von den Arbeitseinkommen hin zu allen Einkunftsarten (inkl. Kapital, Vermögen, Zinserträge etc.) umbasiert werden. Eine Forderung, der sich auch Sozialstaats-Experte Alois Guger (Wifo) anschloss. Guger plädierte für die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze und der Höchstbeitragsgrundlage. (Michael Bachner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.6.2006)